Einleitung
Das klassische Kampfsystem von FHTAGN erlaubt die Simulation verschiedener Auseinandersetzungsformen wie Kampf von Person gegen Person oder Gruppe gegen Gruppe; unbewaffnet, im Nahkampf oder Fernkampf. Auch Großgerät wie Fahrzeuge, schwere Waffen und unnatürliche Wesen und Effekte sind fester Bestandteil der Regeln. Jeder einzelne Akteur kann innerhalb der Kampfrunde handeln und Aktionen mittels Proben und weiteren Würfeln durchführen. So weit, so bekannt.
Eine bisherige Grenze gab es für Massenschlachten bzw. solche Auseinandersetzungen, bei denen die Vielzahl oder Komplexität der Teilnehmenden eine Schritt-für-Schritt-Rundenabwicklung nicht mehr sinnvoll darstellbar scheinen ließ. Auch war es bislang nicht immer einfach, bei zeitlich knappen Runden, wie z. B. One-Shots auf einer Convention, sehr lange Kämpfe abzuhandeln. Und zu guter Letzt gibt es neben Fans von simulationslastigen Mechaniken auch eine beständige Anhängerschaft von eher narrativ gespielten Rollenspielen bzw. Spielrunden.
Für alle diese Gruppen kann sich das im Folgenden beschriebene alternative Kampfsystem für FHTAGN eignen.
Die FHTAGN-Redaktion bedankt sich
Wir möchten uns an dieser Stelle herzlich bei Jason Morningstar (Bully Pulpit Games) bedanken, auf dessen Artikel Fighting... and Why it is Horrible aus dem Jahr 2018 die Kernmechanik basiert. Jason, der hierzulande vor allem für Fiasko bekannt sein dürfte, hat einer Verwendung und Bearbeitung für FHTAGN freundlicherweise zugestimmt.
Für wen ist das System geeignet?
Das alternative Kampfsystem eignet sich für alle, die gerne narrativ spielen, d. h. sich weniger in diversen Würfelproben verlieren möchten. Dies kann bei einem Kampf mit der klassischen Variante, gerade wenn er groß oder komplex ist, durchaus eine nicht unbedeutende Zeit in Anspruch nehmen. Ansonsten bietet sich das System für alle Massenkampfsituationen an, in denen die Durchführung mit einzelnen Proben pro einzelnen Teilnehmenden nicht mehr flüssig abbildbar wäre.
Welche Kämpfe lassen sich damit durchführen?
Grundsätzlich lassen sich mit der Mechanik alle denkbaren Kämpfe und Auseinandersetzungen abbilden. Es ist dabei egal, in welcher Epoche und auf welcher Entwicklungsstufe gespielt wird. Auch die Anzahl der Teilnehmenden spielt keine Rolle; die Mechanik funktioniert sowohl für Eins-gegen-eins-Situationen als auch für ganze Feldschlachten. Wichtig zu betonen ist, dass die SL nach wie vor eine bestimmende Rolle einnimmt und im Zweifel das letzte Wort hat. Dies gilt insbesondere für die Bewertung des Einflusses unnatürlicher Elemente wie bspw. Wesen, Artefakte oder Rituale auf das Kampfgeschehen. Auch eine Berücksichtigung von Fertigkeiten der Charaktere, die Einfluss auf das Momentum oder die individuellen Konsequenzen haben können, liegt im Ermessen der SL. So könnte eine ausgeprägte Militärwissenschaft oder der Umgang mit Sprengstoffen situationsbedingt Vorteile bringen oder in der gemeinsamen Diskussion ins Feld geführt werden.
Grenzen und Besonderheiten
Dem Kampfsystem wohnt eine Abwärtsspirale inne, die dazu führt, dass die individuellen Konsequenzen eines Kampfes für einen Charakter mit fortschreitender Anzahl der Kämpfe tendenziell schlechter werden. Tod und schwere Verwundung sind ebenfalls fortwährende Risiken, ohne welche in einem Horror-Rollenspiel wichtige Komponenten fehlen würden. Jeder Kampf ist bedeutsam und es muss etwas auf dem Spiel stehen; und sei es, die Gesundheit eines Charakters.
Um der Abwärtsspirale zu begegnen, sind diverse Mechanismen enthalten, die auch Kampagnenspiel bzw. mehrere Kämpfe hintereinander ermöglichen. Der SL steht es frei, aus einer großen Schlacht mehrere Kampfsituationen herauszunehmen und über das alternative Kampfsystem abzuwickeln.
Durch die Natur der Abwärtsspirale ist ein geringes Maß an Buchführung notwendig. Die Spielenden müssen sich notieren, ob sie bereits einmal gewonnen oder verloren haben. Zusätzlich dazu sind die erlebten Stufen auf der Ergebnistabelle zu notieren.
Wiederholung: Regelbegriffe
Obwohl das alternative Kampfsystem stark narrativ ist, so hat doch jede Auseinandersetzung Folgen. Folgende Begrifflichkeiten und Regelmechanismen sollte man sich vor Augen führen, wenn man die in der Ergebnistabelle dargestellten individuellen Konsequenzen auch regelmechanisch umsetzen möchte:
Durchführung
Wenn es zu einem Kampf kommt, egal, wie viele Individuen bzw. Parteien beteiligt sind, werden die folgenden Schritte der Reihe nach durchgeführt.
1. Ziele
Die Seite der Charaktere muss ihr Ziel bzw. ihre Absichten klar und deutlich im Sinne einer Gruppenanstrengung artikulieren. Die SL muss sich über die Ziele der NSC im Klaren sein, diese aber nicht zwangsläufig offenbaren.
2. Momentum
Das Momentum ist ein weit gefasstes Konzept, das für alle Beteiligten eines Kampfes gilt, egal ob es sich um Armee mit 10.000 Personen handelt oder Einzelne gegeneinander antreten. Beantwortet für die Gruppe gemeinsam mit der SL diese Fragen. Hat die jeweilige Seite ...
- … die bessere Ausbildung, Führung oder Taktik?
- … eine höhere Moral oder mehr Selbstvertrauen?
- … das vorteilhaftere Terrain, die günstigere Position, die bessere Deckung oder das Überraschungsmoment?
- … die überlegeneren Waffen, wirksamere Panzerung oder Schutzausrüstung?
- ... eine bedeutsame zahlenmäßige Überlegenheit?
- ... ein unnatürliches Element (Ritual, Artefakt, Wesen usw.), das unmittelbar Einfluss auf das Kampfgeschehen nimmt?
Wenn keine Einigung erzielt werden kann, welche Seite einen bestimmten Momentum-Vorteil hat, oder wenn es klar ist, dass keine der beiden Seiten einen Vorteil hat, wird die jeweilige Frage übersprungen. Die SL muss hier im Zweifel die Diskussion führen und verfügt über weitreichendere Informationen, als die Seite der Charaktere. Sie hat nach wie vor das letzte Wort.
Jedes „Ja“ ergibt einen Bonus von +1 für die entsprechende Seite.
3. Sieg oder Niederlage
Jede Seite würfelt einen W6 und addiert die jeweiligen zusammengezählten Momentum-Boni.
- Die Seite mit der höheren Augenzahl teilt aus bzw. erringt einen Sieg.
- Die Seite mit der niedrigeren Zahl steckt ein bzw. erleidet eine Niederlage.
Die siegreiche Seite „gewinnt“ die Schlacht und hat ihr Ziel erreicht. Im Falle eines Unentschiedens erleiden beide Seiten eine Niederlage und niemand bekommt, was er will. Beide Seiten können es später noch einmal versuchen, unter anderen Umständen. Das werden sie wahrscheinlich auch tun. Gewinnt eine Seite mit nur einem Punkt Unterschied, so ist der Sieg mit einem „ja, aber“ verbunden.
Die SL muss den Ablauf des Kampfes, Sieg und Niederlage, sowie auch die anschließenden persönlichen Konsequenzen im Sinne der Spielwelt logisch moderieren und gegebenenfalls bestimmend festlegen. Sie hat nach wie vor das letzte Wort.
4. Individuelle Konsequenzen
Die Spielenden bestimmen die individuellen Ergebnisse für ihren Charakter.
- Falls der Kampf ein Sieg war: Hat er bereits Erfahrung im Austeilen oder ist abgehärtet gegenüber Gewalt?
- Falls der Kampf eine Niederlage war: Hat er bereits Erfahrung im Einstecken oder ist abgehärtet gegenüber Hilflosigkeit?
- Kann er sich nirgendwo hin zurückziehen, steht er mit dem Rücken an der Wand und kämpft daher besonders verbissen?
- Hat er die Möglichkeit zum Tarnen und Täuschen und kann sich so dem Zugriff des Feindes entziehen oder von sich ablenken?
- Hat er den Wunsch zu töten und zu zerstören (bspw. durch eine gewalttätige Störung)? Dies gilt nicht mehr, wenn bereit Ergebnis #5 erlebt wurde.
- Hat er Gewissheit über die Richtigkeit des Kampfes? Dies gilt nicht mehr, wenn bereits Ergebnis #7 erlebt wurde.
Anders als beim Momentum handelt es sich hier nicht um Entweder-oder-Optionen. Beide Seiten können erfahren sein, in die Enge getrieben, in mörderische Wut verfallen oder davon überzeugt, im Recht zu sein. Jedes „Ja“ steht für eine +1. Zähle sie zusammen und wirf einen W6.
Behandle jedes Ergebnis über 10 als eine 10. Wenn dein Charakter eine Niederlage erlitten hat, behandle jedes Ergebnis über 6 als eine 6.
5. Ergebnistabelle
Die Auswirkungen werden der Ergebnistabelle entnommen und entsprechend dokumentiert.
Hast du ein Ergebnis bereits erlebt, so überspringe dessen Auswirkungen und nimm die nächst niedrigere Stufe. Es wird immer nur ein einziges Ergebnis aus der Tabelle angewendet. Im Laufe der Zeit wird die Wahrscheinlichkeit für drastische Auswirkungen bis hin zum Tod steigen.
Notiere dir bereits erlebte Ergebnisse sowie Siege oder Niederlagen auf deinem Charakterbogen.
Gnädiges Vergessen
Von den Dingen, die man in Kämpfen und auf dem Schlachtfeld erlebt hat, erholt man sich nie ganz. Dennoch lassen sich die Auswirkungen mindern.
Erhält ein Charakter einen Haken bei Abhärtung gegenüber Gewalt oder Hilflosigkeit, so wird die niedrigste erlebte Stufe gestrichen und der Charakter erlebt sie dann beim nächsten Kampf möglicherweise wieder wie beim ersten Mal. Dies funktioniert nur so lange, bis ein Charakter vollständig abgehärtet ist. Gewinnt ein Charakter darüber hinaus in einer Zwischenszene Stabilität zurück, so wird ebenfalls die niedrigste bereits erlebte Stufe gestrichen.
Ergebnistabelle
Konsultiere das Ergebnis der entsprechenden Stufe, um zu erfahren, was die individuellen Konsequenzen für deinen Charakter sind. Dies gilt nicht für andere Kampfteilnehmenden wie NSC oder unnatürliche Wesen.
Beispiel
Auseinandersetzung auf der alten Farm
Eine Gruppe von Charakteren gerät auf einer alten Farm mit einem Kult aneinander. Das Ziel der Charaktere ist es, ein bedeutsames Artefakt zu entwenden und dadurch den Einfluss des Kultes zu schwächen. Die Kultisten hingegen verteidigen ihren Besitz fanatisch.
Messer werden gezückt, Pistolen kommen zum Vorschein. Die Kultisten sind schlecht organisiert und durch das Verschwinden des Kultoberhauptes verunsichert. Für das Momentum der Charaktere bedeutet dies eine +2. Bezogen auf das Terrain hat keine der beiden Seiten einen Vorteil und auch die Bewaffnung ist nicht weiter entscheidend. Die Kultisten sind allerdings zahlenmäßig deutlich überlegen und erhalten daher +1 zu ihrem Momentum. Es ist kein unnatürliches Element im Spiel.
Die Charaktere werfen eine 4 und haben damit eine 6 als Ergebnis. Die SL wirft eine 4 für die Kultisten, was im Ergebnis eine 5 macht. Die Seite der Charaktere hat gewonnen, allerdings nur knapp ("ja, aber").
Die Charaktere ermitteln nun ihre individuellen Konsequenzen. Einer der Charaktere bspw. hat noch keine Erfahrung mit einem Sieg und von den anderen Dingen kann er sich nur die Gewissheit über die Richtigkeit des Kampfes gutschreiben (+1). Der Wurf ist eine 5, zusammen mit dem Bonus ergibt dies eine 6 (leichte Verletzung). Ein anderer Charakter hat bereits Erfahrung mit einem Sieg (+1) und ebenfalls die Gewissheit über die Richtigkeit seines Handelns (+1). Der Wurf ist eine 2, zusammen dann eine 4 (Verletzung).
Der Kampf tobt heftig im Farmhaus, es wird um sich geschossen, im Nahkampf gekämpft, auf dem Boden gerungen. Die Charaktere können sich einen Weg in den Kultraum bahnen und das Artefakt an sich nehmen. Auf dem Weg bricht sich der erste Charakter im Zweikampf bei einem Faustschlag einen Finger. Die SL entscheidet sich für einen temporären GE-Verlust von -1W4 aufgrund des Handicaps. Der zweite Charakter kämpft sich gerade durch die große Küche, als er im Zweikampf an einen großen Kessel mit einer heißen Flüssigkeit gestoßen wird. Der Dampf verbrüht ihm das Gesicht und die linke Hand. Er verliert 1W6 TP und muss eine KO x 5-Probe absolvieren, ansonsten tritt bleibender Schaden ein. Beide Charaktere verlieren darüber hinaus 0/1W4 STA.
Kurz bevor die Charaktere das Anwesen mit dem Artefakt verlassen können, bemerken sie erst die ganzen Videokameras, die gut getarnt an verschiedensten Stellen angebracht sind. Man kann davon ausgehen, dass ihr Coup gefilmt wurde und ihre Gesichter nun dem Kult bekannt sein dürften (von der SL bestimmtes "ja, aber" für den knappen Sieg).
Die Spielerinnen notieren abschließend die jeweils erlebten Ergebnisse (6 bzw. 4) und zusätzlich, dass sie einen Sieg davongetragen haben, um diese Erfahrung bei zukünftigen Kämpfen berücksichtigen zu können.