Kampagnenrahmen
Kampagnenrahmen
Solange es Geheimnisse auf der Welt gibt, versuchen Menschen diese zu ergründen und ihr Wissen darüber zu teilen und zu bewahren. Dieses Bedürfnis kann die unterschiedlichsten Menschen verbinden, die durch Zufall oder durch obskure Recherchen auf das Unnatürliche gestoßen sind. Sie finden sich zusammen, organisieren sich in einem losen Netzwerk oder einer straff gegliederten Hierarchie. Neue Mitglieder werden gewonnen. Ziele werden gesteckt und verfolgt. Manchmal werden die Ziele erreicht. Und manchmal nicht ...
Einer solchen Organisation, wie auch immer sie ausgeprägt sein mag und was auch ihre Ziele sein mögen, können die Charaktere angehören. Für Spielerinnen und Spielleiterin bildet diese Organisation den Rahmen einer Kampagne. Der Kampagnenrahmen ist das Gerüst, an dem die einzelnen Elemente der Kampagne befestigt und miteinander verknüpft werden können: Szenarien, Auftraggeberinnen und Patrone, Widersacherinnen und Verbündete, Rückzugsorte und vieles mehr.
In diesem Kapitel wird erklärt, wie ein Kampagnenrahmen funktioniert und wie die Spielleiterin den passenden Rahmen für ihre jeweilige Kampagne erschafft. Außerdem wird das FHTAGN-Netzwerk als beispielhafte Ausarbeitung eines Kampagnenrahmens vorgestellt. Es ist geeignet, um ohne große Vorbereitung schnell in das Spiel einzusteigen. Das FHTAGN-Netzwerk ist auch der Kampagnenrahmen, der für die offiziellen FHTAGN-Szenarien als Hintergrund verwendet wird.
Verwendung des Kampagnenrahmens
Für die Spielleiterin ist der Kampagnenrahmen ein Hilfsmittel, um bestimmte erzählerische Aufgaben auf einfache und elegante Weise lösen zu können. Im Kern lassen sich diese Aufgaben in drei Gruppen einteilen:
- Aufgaben und Konflikte für Charaktere schaffen.
- Unterstützung für Charaktere bereitstellen.
- Neue Charaktere einführen.
Im Folgenden werden diese drei Punkte näher betrachtet. Darüber hinaus gibt es noch eine übergreifende Funktion, die jede Organisation automatisch mitbringt. Wenn die Charaktere ein plausibles Motiv haben, sich in der Organisation zu betätigen, dann haben sie auch eine Motivation, sich mit dem unnatürlichen Horror zu befassen. Diese Motivation ist anders schwierig zu erreichen, da der gesunde menschliche Geist vor dem kosmischen Grauen zurückschreckt und sich lieber durch Unwissenheit schützt. Die Gewohnheiten, festen Regeln oder sozialen Verpflichtungen in einer Organisation können Menschen dazu bringen, sich deutlich länger und intensiver mit dem Unnatürlichen zu beschäftigen, als letztlich gut für sie ist. Erzählerisch unterstützt der Kampagnenrahmen so die Entwicklung der Abwärtsspirale.
Aufgaben und Konflikte
Die einfachste und naheliegendste Funktion einer Organisation, die das Unnatürliche erforscht oder bekämpft, ist, den Charakteren direkte Aufträge zu geben. Wenn die Organisation eine gewisse Größe hat, oder zumindest über weit verzweigte Informationskanäle verfügt, dann kann nahezu jedes Szenario einfach über einen Auftrag der Organisation gestartet werden. Dies gibt der Spielleiterin enorme Flexibilität bei der Auswahl der Szenarien, da es zumindest in moderneren Settings kaum noch Einschränkungen für die Handlungsorte gibt: Einsätze in einer verfallenen Burg in Deutschland, einem tibetanischen Tempel und einer arktischen Forschungsstation können direkt hintereinander beauftragt werden, ohne die innere Logik der Spielwelt zu strapazieren.
Die Art der möglichen Aufträge ist dabei nur vom Setting und der genauen Art der Organisation abhängig. Die Art der Auftragsvergabe, das heißt auch des Einstiegs in ein geplantes Szenario, kann variieren. Von der bloßen Übermittlung eines Gerüchts, das von merkwürdigen und verdächtigen Vorkommnissen an einem bestimmten Ort kündet, bis zu einem militärisch eindeutigen Befehl, eine bestimmte Mythoskreatur aufzuspüren und zu eliminieren, kann alles vorkommen.
Die Organisation kann auch selbst zum Gegenstand von Szenarien werden. Dazu gibt es mehrere Möglichkeiten.
Innere Konflikte und Intrigen: Die Organisation kann mit inneren Problemen zu kämpfen haben. Ursachen und Verlauf hängen stark von der Art der Organisation ab. Die Charaktere können sich einer Fraktion oder Interessengruppe anschließen, versuchen neutral zu bleiben oder sich aktiv für die Einheit der Organisation einsetzen. Im Endergebnis könnte es zur Spaltung der Organisation, zur Abspaltung von Splittergruppen oder zur Vernichtung einer Fraktion führen. Vielleicht ist es aber auch ein fortlaufender, langfristiger Konflikt, der sich zumindest über den Verlauf der Kampagne nicht grundlegend ändert, sondern der Spielleiterin als stetige Quelle von kleinen Scharmützeln und Intrigen dient.
Konkurrenzorganisation: Sie könnte ähnliche Ziele mit ganz anderen Mitteln oder einer anderen Weltanschauung verfolgen. Die beiden Organisationen könnten um die gleichen Ressourcen kämpfen (z. B. um neue Mitglieder oder die Gunst eines Geldgebers) oder parallel versuchen, die gleichen Einsätze durchzuführen. Dadurch bekämen die Charaktere die Konkurrenz unmittelbar während ihrer Einsätze zu spüren. Auch direkte Angriffe auf die jeweils andere Organisation sind natürlich möglich und können zu Szenarien führen, die mit dem Mythos gar nichts mehr zu tun haben.
Bedrohung der Organisation durch das Unnatürliche: Diese Möglichkeit ist vor allem im fortgeschrittenen Stadium einer Kampagne naheliegend. Wenn die Charaktere oder andere Mitglieder der Organisation dem Unnatürlichen irgendwie Ärger bereitet haben, ist es gut möglich, dass irgendjemand (oder irgendetwas) auf den Gedanken kommt, diese Gefahr aus dem Weg räumen zu müssen. Als Bedrohung kommen je nach Kampagne vor allem Kulte in Frage, aber auch intelligente, organisierte Rassen wie die Mi-Go oder Tiefe Wesen. Wenn die Organisation schon länger tätig ist, kann diese Situation auch schon zu Beginn einer Kampagne bestehen.
Organisation als Mysterium: Wird von den Charakteren erkundet. Dazu muss die Organisation allerdings von der Spielleiterin so angelegt werden, dass den Charakteren selbst ihre Natur zunächst unklar ist. Das Wissen um die Organisation und ihre Hintergründe setzt sich erst langsam im Laufe der Kampagne wie ein Puzzle zu einem Bild zusammen. Ein ausführliches Beispiel dafür ist das später im Detail beschriebene FHTAGN-Netzwerk.
Unterstützung
Wenn die Charaktere Mitglieder einer Organisation sind und für diese Aufträge durchführen sollen, dann hat die Organisation ein Interesse daran, dass die Einsätze auch erfolgreich sind. Dazu ist es hilfreich, wenn die Charaktere die notwendige Ausrüstung, Transport zum Einsatzort und bei Bedarf auch andere Mitglieder der Organisation zur Unterstützung bekommen. All das kann von der Organisation bei Bedarf gestellt werden.
Diese Möglichkeit erleichtert der Spielleiterin wiederum den Einstieg in viele Szenarien. Der Transport an einen abgelegenen Handlungsort ist z. B. kein Problem und kostet am Spielabend keine Zeit, weil er von der Organisation bezahlt wird oder der Transport direkt mit eigenen Mitteln erfolgt. Kaum eine Gruppe von Charakteren verfügt über alle denkbaren Fertigkeiten. Wenn für ein bestimmtes Szenario eine in der Gruppe nicht vorhandene Fertigkeit unbedingt erforderlich ist, dann kann über die Organisation zwanglos ein entsprechender Nichtspielercharakter als Spezialist eingeführt werden. Das gleiche gilt für ungewöhnliche oder sehr teure Ausrüstung.
Auch Informationen können von der Organisation in genau dem Maße beschafft und zur Verfügung gestellt werden, wie die Spielleiterin es für sinnvoll und für die Geschichte förderlich hält.
Bei all diesen Möglichkeiten muss die Spielleiterin jedoch die Glaubwürdigkeit des Kampagnenrahmens im Auge behalten. Sie sollte keine für die gewählte Organisation oder das Setting unwahrscheinliche Unterstützung gewähren. Eine eher kleine Organisation sollte z. B. nicht ohne gute Begründung ständig die teuerste Ausrüstung für die Charaktere aufbringen können. Insbesondere, wenn die Charaktere aktiv nach Unterstützung fragen, sollte die Spielleiterin vorsichtig agieren. Spielerinnen neigen oft dazu, eine Quelle für Ressourcen bis aufs Äußerste ausnutzen zu wollen. Dem sollte die Spielleiterin einen Riegel vorschieben, indem sie konsequent die Regeln für das Einfordern von Gefallen (siehe FHTAGN Regelwerk) anwendet, durch die bei häufiger Nutzung die Bindung zur Organisation stark sinken kann. Eine weitere Möglichkeit, ausufernde Ausnutzung von Unterstützung zu verhindern, ist, dass erst im Laufe einer Mission klar wird, was die Charaktere brauchen. Sie stecken dann schon mitten im Geschehen und haben nicht mehr die Möglichkeit, sich die perfekte Ausrüstung zu besorgen. Fehlende Ausrüstung geht mit fehlender Sicherheit einher und unterstützt damit den Horror am Spieltisch.
Bei bestimmten Kampagnen bietet es sich auch an, dass die Organisation Belohnungen für erfolgreich abgeschlossene Aufgaben oder Einsätze vergibt. Diese Belohnungen können rein auf der Erzählebene stattfinden wie z. B. Ordensverleihungen, höhere Ränge oder zusätzliche Rechte innerhalb der Organisation. Es können aber auch Belohnungen mit regelmechanischen Auswirkungen sein, für die die Spielleiterin bei Bedarf auch eigene Freizeitbeschäftigungen für Zwischenszenen einführen kann. Kostenlose Aufenthalte im organisationseigenen Sanatorium oder Krankenhaus oder exotische Spezialtrainings seien nur als Beispiele angeführt.
Neue Charaktere
In längeren Kampagnen kann es aus verschiedenen Gründen vorkommen, dass die Protagonistinnen der Geschichte wechseln. Die Gründe können innerhalb der Spielwelt liegen: Charaktere sterben, werden wahnsinnig oder können aufgrund anderer erzählerischer Ursachen nicht mehr mit dem Rest der Gruppe zusammenarbeiten. Andere Gründe für Charakterwechsel liegen vielleicht wiederum außerhalb des Spiels: Spielerinnen scheiden aus der Gruppe aus und neue Spielerinnen kommen dazu oder Spielerinnen werden zu Spielleiterinnen und umgekehrt. In all diesen Fällen benötigt man Begründungen für das Ausscheiden der alten und das Hinzukommen neuer Charaktere. Diese Gründe sind mit einer Organisation leicht zu erhalten, die durch ihre Mitglieder gewissermaßen immer einen Vorrat an neuen potenziellen Charakteren hat. Die Organisation entscheidet einfach, bei einem neuen Einsatz eine etwas andere Zusammenstellung des Teams als bisher zu wählen. Die Gründe dafür müssen normalerweise gar nicht näher ausgeführt werden. Neue Charaktere können nach gemeinsamer Festlegung der Spielerin und der Spielleiterin ganz neu erstellt werden – der Charakter war dann bisher in einem anderen Teil der Organisation tätig oder er ist von der Organisation neu angeworben worden. Alternativ kann auch ein bisher schon aufgetretener Nichtspielercharakter verwendet werden.
Charaktere im Kampagnenrahmen
Im Regelfall ist der Spielleiterin zu Beginn der Kampagne klar, welches die zentralen Elemente der Kampagne sein sollen und wie der Kampagnenrahmen aussieht. Unter diesen Umständen ist es möglich und fast immer auch sinnvoll, wenn die Charaktere passend zu diesem Hintergrund und natürlich dem gewählten Setting erstellt werden. Die Spielleiterin sollte darum klare Vorgaben machen, welche Charaktere passend sind. Alternativ kann sie den Spielerinnen vorab so viele Informationen über den Kampagnenrahmen geben, dass diese selbst entscheiden können, welche Charaktere passend sind.
Berufe: Die möglichen Berufe ergeben sich normalerweise zwanglos aus der Art der gewählten Organisation. Eine militärische Organisation wird hauptsächlich aus Kämpferinnen und ein paar Technikerinnen und Medizinerinnen bestehen. Bei einer Freimaurerloge werden dagegen eher gutbürgerliche Berufe wie z. B. Geschäftsfrau, Juristin, Diplomatin oder Glaubensvertreterin vorherrschen. Falls für die geplante Kampagne bestimmte Berufe oder Fertigkeiten notwendig sind, so sollte die Spielleiterin hier entsprechende Vorgaben machen.
Bindungen: Wenn ein Charakter bereits zu Beginn der Kampagne Mitglied der Organisation sein soll, dann sollte er auch eine Bindung dorthin haben. Details dazu siehe im Abschnitt Bindung zur Organisation. Alle anderen Bindungen können im Allgemeinen ohne besondere Berücksichtigung des Kampagnenrahmens festgelegt werden.
Motivationen: Eine Motivation kann ein wichtiges Element sein, um zu erklären, warum der Charakter Mitglied der Organisation ist und darum auch, warum er sich überhaupt mit den furchtbaren, den Geist zerstörenden Mysterien auseinandersetzt. Allgemeine Motivationen wie „Ich diene meinem Land“, „Ich will ein gutes und aktives Gemeindemitglied sein“ oder „Ich sorge für Ruhe und Ordnung“ können eine starke Verbindung zu Organisationen schaffen, deren Ziele in die jeweils gleiche Richtung laufen. Im Laufe des Spiels kann eine solche Motivation durch eine Störung ersetzt werden. Durch den Wegfall der Motivation kann auch das Verhältnis zur Organisation gestört werden, was zu interessanten Spieldynamiken führen kann. Die Spielleiterin sollte also darauf hinwirken, dass jeder Charakter mindestens eine passende Motivation mitbringt. Das ist auch empfehlenswert in dem Fall, dass die Charaktere zu Spielbeginn noch gar keine Mitglieder der Organisation sind und eventuell ihre Spielerinnen auch noch gar nichts von der Organisation wissen. Wenn die Charaktere dann später auf die Organisation stoßen, wirkt der Anschluss umso natürlicher und vielleicht arbeiten die Spielerinnen sogar aktiv darauf hin.
Facetten: Einige Facetten können im Prinzip eine ähnliche Funktion in Bezug auf die Organisation übernehmen wie Motivationen. Die Möglichkeiten sind aber deutlich eingeschränkter. Eventuell kann die Spielleiterin eigene, an den Kampagnenrahmen angepasste Facetten für die Charaktere entwickeln.
Sollen bereits bestehende Charaktere in einen neuen Kampagnenrahmen integriert werden, bietet sich hierfür das FHTAGN-Netzwerk an, da es beliebige Charaktere ohne großen Aufwand im Netzwerk zusammenführen kann.
Die Spielleiterin sollte sich zu Beginn der Kampagne Gedanken darüber machen, welche Art von Zwischenszenen im Kampagnenrahmen sinnvoll sind oder eine besondere Bedeutung haben könnten oder sollten. Es könnte für die Spielleiterin sinnvoll sein, dazu einmal alle Freizeitbeschäftigungen (siehe FHTAGN Regelwerk) durchzugehen und sich zu überlegen, welche Ausprägung jede davon haben könnte. Die Spielleiterin könnte auch eigene Freizeitbeschäftigungen entwerfen, die im Zusammenhang mit dem Kampagnenrahmen stehen (siehe auch den nachfolgenden Abschnitt Bindung zur Organisation).
Unter Umständen wollen die Charaktere irgendwann auch aus der Organisation aussteigen. Ob und wie das überhaupt möglich ist, ob schon der Versuch einem Todesurteil gleichkommt oder ob es der Organisation völlig egal ist, hängt von der gewählten Organisation und der Rolle der Charaktere in ihr ab. Der Weg hinaus kann Anlass für viele weitere Szenarien sein. Und wenn sie die Organisation verlassen haben, hat die Spielleiterin ebenfalls zahlreiche Möglichkeiten. Die Charaktere könnten von der Organisation gejagt werden. Oder sie schließen sich einer anderen Organisation an, die sie vielleicht vorher schon kennengelernt haben. Eventuell gibt es auch eine Gruppe von anderen Personen, welche die Organisation verlassen haben oder von ihr ausgeschlossen wurden. Eine solche Gruppierung könnte die Charaktere kontaktieren und aktiv versuchen, sie in ihre Reihen aufzunehmen. Vielleicht verfolgt diese Gruppierung ganz andere Ziele als die Organisation oder sie steht in Konkurrenz zu ihr. Vielleicht sind es aber auch nur gestrandete Seelen, die bereits zu tief hinter den Schleier geblickt haben, sozial mittlerweile isoliert und gebrandmarkt sind und am Rande der Gesellschaft stehen.
Bindung zur Organisation
Damit der Kampagnenrahmen auch eine unmittelbare Auswirkung und Bedeutung für die Spielerinnen hat und nicht nur für den erzählerischen Anteil sorgt, wird die Einbettung eines Charakters in die Organisation über eine Bindung dargestellt. Diese trägt den Namen, der sich aus dem entsprechenden Kampagnenrahmen ergibt. Analog zu Bindungen innerhalb der Gruppe (siehe FHTAGN Regelwerk) gelten folgende Regeln.
Eine STA-Probe des Charakters entscheidet darüber, wie sich die Bindung entwickelt. Die STA-Probe wird fällig, wenn eine Mission der Organisation oder ein Szenario abgeschlossen wurde oder ein anderer Punkt in der Kampagne erreicht wurde, der einen Handlungsabschnitt beendet. Die Entscheidung darüber liegt bei der Spielleiterin.
Wenn noch keine Bindung besteht: Sollte der Charakter noch keine Bindung zur Organisation haben, erhält er die Bindung jetzt. Ihr Wert entspricht der Hälfte seines CH-Werts. Außerdem verliert der Charakter sofort 1W4 Punkte von einer beliebigen Bindung innerhalb oder außerhalb der Gruppe.
Wenn bereits eine Bindung besteht: Hat der Charakter bereits eine Bindung zur Organisation, steigt ihr Wert um 1W4 Punkte. Des Weiteren sinkt eine Bindung innerhalb oder außerhalb der Gruppe um 1 Punkt.
Wenn die Bindung auf null sinkt: Sollte die Bindung zur Organisation auf null sinken, so scheidet der Charakter aus. Welche erzählerischen Folgen das Ausscheiden hat, hängt sehr stark von der Art der Organisation ab und kann vom Ignorieren des Charakters bis zur Anordnung seiner sofortigen Exekution gehen.
Gefallen einfordern: Um an Ausrüstung oder Geld zu kommen oder andere Leistungen zu erbitten, können Charaktere mit ihrer Bindung zur Organisation nach den normalen Regeln einen Gefallen einfordern. Bei anonymen Organisationen wird eine Probe auf den aktuellen Bindungswert × 5 fällig.
Anonyme Organisationen
Sehr große, stark bürokratisch geprägte oder auf extreme Geheimhaltung bedachte Organisationen können für ihre Mitglieder sehr anonym sein. Der einzelne Mensch spielt keine große Rolle. Die Bindung steht eher für den Wert der Nützlichkeit, den der Charakter für die Organisation hat. Dementsprechend hat das Charisma des Charakters auch keine große Bedeutung. Für die Umsetzung auf die Regeln bedeutet das, dass Würfe auf Bindungen nicht gegen CH × 5 sondern gegen den aktuellen Wert der Bindung × 5 ausgeführt werden. Außerdem gibt es keinen Höchstwert für die Bindung, das heißt der Wert der Bindung kann das Charisma des Charakters überschreiten. Wenn die Bindung zu einer anonymen Organisation bereits bei der Charaktererschaffung festgelegt wird, entspricht ihr Wert zu Beginn CH / 2. Die Spielleiterin entscheidet, ob eine Organisation in diesem Sinne anonym ist.
Arten von Kampagnen
Es gibt verschiedene Arten, wie eine Kampagne gespielt werden kann. Von der Art der Kampagne hängt ab, welche Bedeutung die Organisation als Kampagnenrahmen hat und wie detailliert sie ausgearbeitet werden sollte. Die folgenden Abschnitte geben dazu einige Hinweise.
Episoden-Kampagnen: Eine Episoden-Kampagne ist eine Kampagne, die aus einzelnen, voneinander weitgehend unabhängigen Szenarien besteht. Die einzelnen Szenarien haben im Grunde alle die gleiche Ausgangssituation, bei der die Charaktere ihrem normalen Leben nachgehen – was immer das auch sein mag –, bis ein besonderes Ereignis die Geschehnisse des Szenarios in Gang setzt. Am Ende des Szenarios sind die unmittelbaren Gefahren beseitigt und die Rätsel soweit möglich gelöst, sodass das nächste Szenario wieder mit der Standardsituation beginnen kann. Eine solche Episoden-Kampagne hat im Grunde den gleichen Aufbau wie viele ältere Fernsehserien. Episoden-Kampagnen eignen sich besonders gut für den Mystery-Spielmodus, weil auch hier die längerfristigen Nachwirkungen eines Szenarios reduziert werden. Der Spielmechanismus der Zwischenszenen ist vor allem für Kampagnen mit klar abgegrenzten Szenarien geeignet.
Bei einer episodenhaften Kampagne ist ein Kampagnenrahmen auf der einen Seite sehr nützlich, weil er zuverlässig die besonderen Ereignisse erzeugen kann, die als Startpunkt für eine Episode dienen. Außerdem kann er je nach Ausprägung auch einen Teil dessen definieren, was das normale Leben zwischen den Episoden ausmacht. Damit wird sozusagen der Nullpunkt der Szenarien gesetzt. Besonders gut eignen sich hier Organisationen, die den Alltag der Charaktere prägen. So könnte die Organisation gleichzeitig der Arbeitgeber der Charaktere sein, oder es handelt sich um einen Verein oder eine weltanschauliche Gemeinschaft, in der die Charaktere ihre Freizeit verbringen.
Auf der anderen Seite muss die Organisation für ihre Funktion als Kampagnenrahmen nicht besonders detailliert ausgearbeitet sein, solange sie nicht selbst Gegenstand eines Szenarios wird. Es reicht, wenn die Spielleiterin und die Spielerinnen eine ungefähre gemeinsame Vorstellung von der Erscheinung und der Funktion der Organisation haben. Die Organisation tritt dann hauptsächlich zwischen den Szenarien, bzw. an ihrem Anfang und Ende auf. Natürlich kann die Organisation im Laufe der Kampagne über Zwischenszenen oder ihre Rolle in einzelnen Szenarien beliebig gut definiert und ausgebaut werden.
Sandbox-Kampagnen: Als Sandbox werden Kampagnen bezeichnet, die weitgehend ohne einzelne, detailliert ausgearbeitete Szenarien auskommen. Die Spielleiterin stellt hier die Welt als Hintergrund bereit, wozu auch Bedrohungen, Herausforderungen und Aufgaben für die Charaktere gehören. Es bleibt den Spielerinnen aber im Idealfall völlig frei überlassen, in welche Richtung sie die Aktivitäten ihrer Charaktere führen. Sie folgen ihren eigenen Motiven und die Spielleiterin lässt die Welt auf die Aktionen der Charaktere reagieren. Außerdem sollte sie den Spielerinnen immer wieder Angebote machen, die Aktivitäten der Charaktere auslösen können, aber eben nicht müssen. Für die Spielerinnen bietet eine Sandbox die maximale Freiheit, innerhalb des gewählten Settings das zu tun, was sie tun möchten.
Für eine Sandbox-Kampagne muss die Spielleiterin einen sehr guten Überblick über die Spielwelt und ihre Möglichkeiten haben. Allerdings ist es meistens wenig sinnvoll, einzelne Elemente der Welt (Handlungsschauplätze, Antagonisten, spezielle Plots usw.) zu detailliert auszuarbeiten, weil die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass die Charaktere diese einfach ignorieren und etwas ganz anderes tun werden. Die Spielleiterin muss zunächst gut improvisieren können. Erst wenn aus dem Verlauf der Story oder dem bekundeten Interesse der Spielerinnen klar wird, dass ein bestimmter Ort, Kult oder was auch immer eine größere Rolle spielen wird, sollte die Spielleiterin sich die Zeit für die Ausarbeitung nehmen.
Auch die Organisation, die als Kampagnenrahmen dienen soll, ist natürlich ein Element der Spielwelt. Für sie gilt das vorher Gesagte aber nur bedingt. Wenn die Funktion des Kampagnenrahmens für die Spielleiterin erhalten bleiben soll, dann muss sie dafür sorgen, dass die Organisation für die Charaktere auf jeden Fall ein ständiger Begleiter wird. Die Spielleiterin muss deswegen aber auch damit rechnen, dass die Charaktere sich näher für die Organisation interessieren. In der Praxis bedeutet das, dass der Kampagnenrahmen bei einer Sandbox detailliert ausgearbeitet werden sollte. Das muss zwar nicht unbedingt gleich zu Beginn der Kampagne gemacht werden, sondern kann auch erst im Laufe einiger Spielsitzungen passieren. Aber da die Spielleiterin, anders als bei einer Episodenkampagne, nur begrenzten Einfluss darauf hat, wann und wie intensiv die Charaktere sich mit der Organisation befassen, sollte sie besser gut vorbereitet sein.
Kauf-Kampagnen: Es gibt zahlreiche fertige Kampagnen für Horror-Rollenspiele zu kaufen, insbesondere auch solche, die vor dem Hintergrund des Cthulhu-Mythos spielen. Diese Kauf-Kampagnen bringen normalerweise ihren eigenen Kampagnenrahmen mit, d. h. sie haben Elemente, die die einzelnen Szenarien miteinander verbinden und die Charaktere von einem zum nächsten führen. Eine zusätzliche Organisation als Kampagnenrahmen ist also hier nicht nötig oder könnte sogar störend sein. Es kann aber durchaus auch interessant sein, den vorgegebenen Rahmen durch in diesem Kapitel genannte Bausteine abzuändern oder zu erweitern. Das bietet sich vor allem dann an, wenn die Kampagne ebenfalls eine Organisation als Rahmen verwendet. Die Spielleiterin kann z. B. überlegen, ob sie die Organisation selbst mehr in den Fokus des Geschehens rücken möchte oder ob sie weitere, in der Kampagne nicht vorgesehene Szenarien in die Kampagne einbinden will.
Einzelszenarien und Kurzkampagnen: Ein Einzelszenario oder One-Shot ist ein Szenario, das für sich allein steht und nicht als Teil einer Kampagne gespielt wird. Offensichtlich ist ein Kampagnenrahmen nicht zwingend erforderlich, wenn gar keine Kampagne gespielt wird. Aber auch für einzelne Szenarien kann eine Organisation als Aufhänger dienen. Gerade wenn die Spielerinnen bereits mit den Grundprinzipien einer Organisation, wie z. B. des FHTAGN-Netzwerks vertraut sind, lässt sich nahezu jedes beliebige Szenario mit seiner Hilfe beginnen. Das gleiche gilt für Kurzkampagnen, die vielleicht nur aus zwei oder drei Szenarien bestehen.
Es ist natürlich auch möglich, die Organisation selbst zum Thema eines One-Shots zu machen. Auf diese Weise kann die Spielleiterin neuen Spielerinnen einen ersten Eindruck der Organisation vermitteln oder erfahrenen Spielerinnen eine andere Perspektive darauf geben.
Eine Organisation gestalten
Egal was für eine Organisation für den Kampagnenrahmen verwendet werden soll, über einige Fragen sollte sich die Spielleiterin immer Gedanken machen. Sie kann sich dabei aber auch von den Ereignissen in den Szenarien und den Handlungen der Charaktere inspirieren lassen, sodass sich Netzwerk und erzählte Geschichte einander anpassen.
- Erscheinungsform: Hinter welcher Fassade verbirgt sich die Organisation? Welche Struktur hat die Organisation? Ist sie das, was sie zu sein scheint? Ist sie informell oder hierarchisch aufgebaut? Betrifft sie die Arbeit oder die Freizeit der Charaktere?
- Motivation: Welche Motivation haben die Charaktere, um bei der Organisation mitzumachen? Geld, Wissen, Drogen, Macht, Verzweiflung?
- Kommunikationswege: Wie kommuniziert die Organisation mit ihren Mitgliedern? Vergibt sie Aufträge?
- Hintergrund: Wer zieht die Fäden im Hintergrund? Wer oder was steckt wirklich hinter der Organisation? Welchen Zweck verfolgt die Organisation? Sind ihre Ziele echt oder steckt etwas ganz Anderes dahinter? Gibt es interne Konflikte oder Intrigen? Hat sie Konkurrenten oder Feinde? Bekämpft die Organisation den Mythos oder ist sie selbst ein Mysterium? Wie lange gibt es das Netzwerk schon? Wie und wann können die Charaktere der Wahrheit näher kommen?
Das FHTAGN-Netzwerk
ZitatDu brauchst das Netzwerk.
Das Netzwerk braucht dich!
Neugier ist der Katze Tod
Über eine private Nachricht in einem Internetforum für Verschwörungstheorien hatte Laura die Installationsanweisungen für eine obskure App namens FHTAGN gefunden. Sie wusste nicht genau, was sie dazu veranlasst hatte, dieser wenig vertrauenerweckenden Anleitung tatsächlich zu folgen. Jedenfalls war die App nun auf ihrem Smartphone installiert. Zwei Tage lang hatte sie beim Aufrufen der App nur einen schwarzen Bildschirm gesehen. Sie hatte sogar schon selbst Nachrichten in das Eingabefeld getippt, jedoch ohne Reaktion. Gerade als sie die App wieder deinstallieren wollte, meldete sich diese mit einer Benachrichtigung:
In deinem Briefkasten findest du einen gelben Schal. Trage den Schal heute Abend. Komme um 23:30 Uhr zur Bushaltestelle „Rangierbahnhof“. Dort triffst du Gleichgesinnte. Du erkennst sie am gelben Schal. Im Gebüsch hinter der Haltestelle findet ihr eine Tasche. Darin befindet sich alles, was ihr braucht, um die Wahrheit aufzudecken. Präge dir diese Nachricht gut ein. Sie wird gelöscht in 3:00 ... 2:59 ... 2:58 ... 2:57 ...
War das ein Spiel? Irgendeine Art von Geocaching? Niemals würde sie auf so etwas hereinfallen ...
Um 23:45 Uhr schlich Laura mit drei wildfremden Leuten über den alten Rangierbahnhof. Bald hatten sie das seltsame, mannsgroße Erdloch gefunden, das auf der Karte mit einem Kreuz markiert war. Es roch nach Verwesung. Die vier Gestalten banden sich die gelben Schals vor ihre Gesichter, schalteten ihre Stirnlampen ein und stiegen vorsichtig hinab in die dunkle Tiefe.
Das FHTAGN-Netzwerk ist eine Organisation, an der beispielhaft gezeigt wird, wie ein Kampagnenrahmen gestaltet werden kann. Es ist gleichzeitig die Organisation, die in den offiziellen FHTAGN-Szenarien der Gegenwart (Entwicklungsstufe 8) verwendet wird.
Erscheinungsform
Charakteristisch für das FHTAGN-Netzwerk ist, dass die Charaktere über eine Smartphone-App mysteriöse Nachrichten mit Hinweisen auf unnatürliche Vorkommnisse und teilweise auch recht ungewöhnliche Aufträge erhalten. Wer solche Aufträge erfüllt, kann bei den eigenen Ermittlungen auf Unterstützung durch das FHTAGN-Netzwerk hoffen – meist durch hilfreiche Zufälle, die möglicherweise gar keine sind. Und solche Zufälle können in manchen Situationen lebensrettend sein.
Die Erscheinungsform von FHTAGN ist die einer ungewöhnlichen Online-Community in einem kleinen sozialen Netzwerk. Zu Beginn der Kampagne wissen weder die Spielerinnen noch die Charaktere, um was für eine Organisation genau es sich handelt, was ihre Ziele oder ihr Hintergründe sind. Zunächst wissen sie wahrscheinlich noch nicht einmal, dass es sich überhaupt um ein organisiertes Netzwerk handelt. Die Charaktere werden langsam immer tiefer in das FHTAGN-Netzwerk hineingezogen und blicken Stück für Stück hinter den Schleier.
Funktion des Netzwerkes
Das FHTAGN-Netzwerk erfüllt jede Grundfunktion, die im Abschnitt Funktion des Kampagnenrahmens beschrieben ist. Da die Natur des Netzwerks, seine Ziele, Hintergründe und so weiter für die Charaktere und ihre Spielerinnen zunächst unbekannt sind, wird sich wahrscheinlich ein Teil der Kampagne auch mit dem Netzwerk selbst befassen (Organisation als Mysterium). Die Aufträge, die die Charaktere erhalten, können ungewöhnlich und bizarr oder für die Charaktere einfach unverständlich sein. Es könnte die Beschaffung oder der Transport eines obskuren Gegenstands sein, die Verhinderung eines kurzfristig anstehenden Ereignisses, das eigentlich niemand hätte vorhersehen können, die Rettung eines Menschen oder die Sprengung eines Gebäudes. Für ein weiteres Beispiel siehe den Kasten Vorbereitungen .
Charaktere: Eine Besonderheit des FHTAGN-Netzwerks ist es, dass jeder Charakter mit jedem Beruf Teil der Organisation sein kann. Schließlich ist der jeweilige Hintergrund, den sich die Spielleiterin ausgedacht hat, den Spielerinnen unbekannt. Daher kann eine scheinbar völlig zufällige Auswahl an Typen und Berufen möglicherweise später in einer Kampagne Sinn ergeben.
In einer typischen Kampagne mit dem FHTAGN-Netzwerk wird die Bindung zum Netzwerk nicht bei der Erstellung der Charaktere definiert. Die Charaktere kommen ja erst im Laufe der ersten Szenarien mit dem Netzwerk in Kontakt. Für das FHTAGN-Netzwerk gelten die Regeln für eine anonyme Organisation, d. h. die Bindung hat keinen Höchstwert und statt gegen CH × 5 wird gegen Bindung × 5 gewürfelt.
Motivationen und Facetten können wie Berufe für den Einstieg in das FHTAGN-Netzwerk beliebig gesetzt werden. Der Einstieg in das FHTAGN-Netzwerk sollte von der Spielleiterin positiv dargestellt werden. Möglicherweise rettet FHTAGN die Charaktere aus einer brenzligen Situation. Oder gewährt hilfreiche Ressourcen für das persönliche Vorankommen eines Charakters oder der ganzen Gruppe. Es sollte deutlich werden, dass die Beteiligung an FHTAGN etwas mit den Charakteren macht. Sie sind Teil einer besonderen Gemeinschaft, in die sie immer tiefer eintauchen. Irgendwann sind die Charaktere so tief in das Netzwerk verstrickt, dass sie entweder eine eigene Motivation entwickelt haben, Teil des Netzwerks zu sein, oder dass sie das Netzwerk gar nicht mehr verlassen können.
Kampagnenarten: Das FHTAGN-Netzwerk kann für Episoden- und Sandbox-Kampagnen ebenso verwendet werden wie für One-Shots. Für die Spielleiterin hat FHTAGN die Besonderheit, dass sie zu Kampagnenbeginn das Netzwerk noch gar nicht ausgearbeitet haben muss. Dadurch, dass die Spielerinnen anfänglich noch nichts über den Hintergrund des Netzwerks wissen können, hat die Spielleiterin auf jeden Fall Zeit, den Hintergrund näher auszuarbeiten. Der spontane Einstieg in eine Kampagne, z. B. aus einem einzelnen Szenario heraus, ist dadurch besonders leicht.
Für Kurzkampagnen oder One-Shots sind die genannten Elemente des Netzwerks völlig ausreichend: mysteriöse Aufträge, eine Smartphone-App und so weiter. Für das Spielen einer längeren Kampagne lohnt es sich allerdings, das FHTAGN-Netzwerk detaillierter auszuarbeiten und an die Spielsituation anzupassen. Die Spielleiterin bestimmt, wie das Netzwerk in ihrer Spielrealität genau gestaltet ist, welchen Zweck es erfüllt, wie lange es bereits aktiv ist und wer in Wirklichkeit die Fäden zieht.
Weil diese Fragen in jeder Spielrunde und in jeder Kampagne anders beantwortet werden, können sich die Spielerinnen auf nichts verlassen, was sie über das FHTAGN-Netzwerk zu wissen glauben. Es wird sich stets ein anderes Geheimnis dahinter verbergen. Und Geheimnisse sind es ja gerade, die einem Horror-Rollenspiel seinen Reiz verleihen. Denn die größte Angst des Menschen ist die Angst vor dem Unbekannten.
Expresslieferung
Es war schon 22:10 Uhr. Markus musste sich beeilen. Es blieben ihm nur noch fünf Minuten, um die Sporttasche im Gebüsch zu deponieren. Warum musste sich der Kerl mit dem Umschlag auch nur so verspäten? Jetzt war der Umschlag zusammen mit den Stirnlampen, den Schaufeln, der Balsamierflüssigkeit und einer ganzen Menge obskurer Sachen sicher in der Sporttasche verstaut. Nun musste er die Tasche nur noch am gewünschten Ort platzieren, hinter der Bushaltestelle.
Seit er das erste Mal in diese Sachen verwickelt worden war, hatte er immer wieder solche Aufträge erhalten. Es lohnte sich diese Aufträge zu erfüllen, das wusste er. Es hatte ihm schon mehrfach das Leben gerettet, zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Hilfsmittel ganz zufällig vorzufinden. Außerdem erlebte er nach jedem dieser Jobs allerlei angenehme Zufälle. Gefallen wurden also erwidert. Und als Paketzusteller konnte er die Sachen leicht nebenbei einsammeln und andern Orts platzieren. Heute war er spät dran.
Er musste sich beeilen. Leben standen auf dem Spiel.
Kommunikationswege
Die seltsamen Botschaften und Aufträge können die Charaktere auf den unterschiedlichsten Kommunikationswegen erreichen. In der Gegenwart bietet es sich an, moderne elektronische Kommunikation zu verwenden. Dazu wird hier die mysteriöse FHTAGN-App eingeführt. Natürlich können auch in der Gegenwart ganz andere und wesentlich ältere Kommunikationswege verwendet werden, z. B. Zeitungsannoncen, Telefonanrufe oder ein Brief in der Post. Näheres dazu findet sich im Abschnitt Das FHTAGN-Netzwerk abwandeln. Für das Spiel in der Gegenwart wird aber in der Regel von elektronischer Kommunikation ausgegangen.
Die FHTAGN-App: Alles beginnt mit einer mysteriösen Smartphone-App. Die Charaktere können auf unterschiedliche Art und Weise auf die FHTAGN-App stoßen. Je nach Hintergrund des Charakters bieten sich unterschiedliche Möglichkeiten an.
- Ein unnatürliches Ereignis führt zur Begegnung mit einer anderen Benutzerin der App. Diese gibt die App weiter.
- Der Charakter erfährt in einem Internetforum über paranormale Phänomene (oder über Esoterik, Verschwörungstheorien, Präastronautik etc.) oder einem entsprechenden Chat von der App und lädt sich die Installationsdatei von einem ominösen FTP-Server herunter.
- Der Charakter stößt bei einem Streifzug durch das Darknet auf die App.
- Der Charakter findet einen Datenträger (bspw. USB-Stick, SD-Karte oder CD) und lädt dessen Inhalt, um herauszufinden, wem dieser gehört. Möglicherweise findet der Charakter den Datenträger sogar in seinem Briefkasten oder als Beilage in einer Zeitschrift.
- Der Charakter klickt (versehentlich?) auf einen Link in einer E-Mail oder Messenger-Nachricht, worauf sich die App installiert. Diese Nachricht kann dabei genau auf den Charakter zugeschnitten sein. Vielleicht stammt der Link auch von einer gleichgesinnten Person.
- Das Scannen eines QR-Code-Aufklebers an einem unheimlichen Ort führt zur Installation der App.
- Die App erscheint einfach auf dem Smartphone, vielleicht gerade im richtigen Moment, um den Charakter vor einer akuten, drohenden Gefahr zu warnen.
- Der erste Auftrag kommt auf einem anderen Weg. Nachdem der Charakter eine unnatürliche Begegnung überstanden hat, erhält er eine offizielle Einladung ins Netzwerk.
- Der Charakter stößt auf eine Einladung ins FHTAGN-Netzwerk und hält das Ganze für eine Schnitzeljagd oder das nächste große Augmented-Reality-Spiel. Für den Charakter ist das eine neue Gelegenheit, endlich mal wieder das Haus zu verlassen, um in der richtigen Welt mit dem Smartphone Rätsel zu lösen oder knuffige Monster zu sammeln.
Es gibt unterschiedliche Versionen der App. Je nach Versionsnummer und Benutzerin kann die App daher über ein unterschiedliches Design und unterschiedliche Funktionen verfügen. In jeder Variante gibt es allerdings eine Textausgabe für Nachrichten. Eine grundlegende Version könnte also nur aus einem schwarzen Bildschirm mit grüner Schrift bestehen. Unter der Überschrift FHTAGN folgen dann die Nachrichten in schnörkelloser Reintextform. Gleichzeitig kann es aber eine Version mit grafisch aufwendig gestaltetem Interface geben. Beide Versionen können gleichzeitig auftreten.
Technische Hintergründe
Um eine App auf den gängigen Smartphones installiert zu können, gehen die Hersteller der Betriebssysteme unterschiedliche Wege. Meistens kommt eine eigene Vertriebsplattform zum Einsatz, die das Produkt versorgt und dadurch ein eigenes Ökosystem von Anwendungen bereithält. Eine Installation von Anwendungen außerhalb der eigenen Vertriebsplattform ist in vielen Fällen durch den Hersteller nicht gewünscht und wird sogar technisch unterbunden.
Damit der jeweilige Application Store eine App akzeptiert, muss diese sich an bestimmte technische und rechtliche Rahmenbedingungen halten. Jede App wird darum einer Prüfung unterzogen. Nur wenn alle Kriterien erfüllt sind, wird sie veröffentlicht. Wie die IT-Nachrichten der vergangenen Jahre zeigen, ist das Einbringen von schädlichen Anwendungen in die Application Stores trotzdem keine Seltenheit. Dazu werden Sicherheitslücken in Hard- oder Software ausgenutzt oder Mitarbeiterinnen der Firmen gezielt manipuliert. Im Falle von offenen Plattformen, bei denen Anwender auch ohne Application Store Anwendungen installieren können, ist die Sache natürlich wesentlich einfacher. Hier existieren die Kontrollmechanismen gar nicht erst und jede beliebige App kann zum Download angeboten werden.
Daher kann eine mögliche Erklärung für die Existenz einer FHTAGN-App einfach lauten, dass sie nach außen hin eine völlig normale App ist. Je nach Ausprägung steht sie in der jeweiligen Kategorie des Application Stores (oder einer offenen Plattform) frei zum Download zur Verfügung.
Die FHTAGN-App bietet einen Kommunikationskanal, der durch eine ganze Kette verschlüsselter, immer wieder wechselnder und über die Welt verstreuter Server Nachrichten an ihre Benutzerinnen schickt. Solche Kanäle sind heute Stand der Technik und selbst für Spezialistinnen und Geheimdienste praktisch nicht zurückzuverfolgen.
Die nächste Schicht in der Tarnung einer FHTAGN-App besteht darin, dass sie scheinbar völlig korrekte Sicherheitszertifikate und Verschlüsselungsmechanismen nutzt. Hinter diesen Mechanismen stecken die mathematischen Methoden der Kryptologie (d. h. der Wissenschaft der Ver- und Entschlüsselung). Der aktuelle Stand von deren Forschung und Anwendung ist normalerweise der Grenze des menschlichen Verstandes unterworfen. Für das, was sich hinter dem Schleier von FHTAGN befindet, kann diese Grenze jedoch völlig unbedeutend sein. Auch wenn alle Proben auf Mathematik oder Informatik gelingen oder der Charakter Kryptologie als Spezialtraining gewählt hat, können die Sachverhalte hinter der FHTAGN-App vielleicht nicht oder nur unzureichend erklärt werden. Alleine diese Erkenntnis kann bereits der Anfang einer Abwärtsspirale sein.
Möglicherweise wird das Darknet ein Mittel der Recherche oder Gegenstand der Kommunikation eines Charakters in Richtung FHTAGN. Das Darknet selbst ist ein Verbund an Rechnern und Diensten, die verschlüsselte Informationen austauschen und deren Seiten über normale Suchmaschinen nicht gefunden werden können. In der Regel ist für den Zugang zum Darknet ein spezielles Programm und die Fertigkeit Informatik auf mindestens 40% erforderlich.
Die erhaltenen Nachrichten lassen sich übrigens nicht aus der App herauskopieren. Die Bildschirmfoto-Funktion der meisten Smartphones funktioniert bei der App ebenfalls nicht. Die Nachrichten verschwinden irgendwann genauso spurlos, wie sie erscheinen.
Später kann die Spielleiterin als Belohnung für erfüllte Aufträge oder falls erforderlich für die Kampagne weitere Funktionen hinzufügen. Besteht für eine Benutzerin keine Notwendigkeit mehr, eine bestimmte Funktion zu verwenden, oder erweist eine Benutzerin sich als unwürdig, werden ihre Nutzungsrechte entsprechend eingeschränkt.
Texteingabe: Die Nutzerin kann nicht nur Nachrichten vom Netzwerk empfangen, sondern auch selbst Nachrichten an das Netzwerk absenden. Die Funktion kann bspw. dazu verwendet werden, um Gefallen oder Ausrüstung anzufordern. Ob und wie das Netzwerk auf die Eingabe reagiert, hängt ganz von der Situation und der Spielleiterin ab. Die Nutzerin kann jedenfalls nicht erwarten, dass das Netzwerk ihr offenherzig auf alle Fragen eine Antwort gibt. Direkte Kommunikation mit den Nutzerinnen dient im Normalfall dazu, diese noch tiefer in den Kaninchenbau zu locken.
Messenger: Nachrichten können auch an andere Mitglieder gesendet werden. Jedes Mitglied bekommt eine scheinbar zufällige Zahlenfolge als Benutzername zugeteilt, die man erst erfährt, wenn man auf den Messenger zugreifen kann. Wer die Nummer eines anderen Mitglieds kennt, kann dieses über die App verschlüsselt anschreiben. Manchmal benötigen Nachrichten sehr lange, manchmal kommen sie gar nicht an.
Man sollte sich immer darüber bewusst sein, dass das Netzwerk die Fäden in der Hand hält und gegebenenfalls diese Art der Funktionalität einschränkt oder blockiert: Schließlich verfolgen die Charaktere ja die Aufgabe von FHTAGN und nicht anders herum. Sollte also die Kommunikation der Charaktere im Sinne des Netzwerks erfolgen, so kann die Chance auf Erfolg gegeben sein. Wenden sich die Charaktere gegen das Netzwerk, so wird es sie nicht dabei unterstützen, im Gegenteil ...
Mediaplayer: Bilddateien, Ton- oder Videoaufzeichnungen können innerhalb der App angesehen werden, aber lassen sich nicht aus der App exportieren. Auch hier verschwinden die entsprechenden Mediendateien wieder.
Karte: Die App versorgt die Benutzerin mit hilfreichen Karten, die mehr Details zeigen als eine gewöhnliche Navigationsapp. Vielleicht führt die App die Benutzerin so zu anderen Mitgliedern des Netzwerks oder zeigt ihr einen sicheren Unterschlupf, ein Ausrüstungsdepot oder eine Ärztin, die keine Fragen stellt.
Außer als Smartphone-App kann FHTAGN auch auf anderen elektronischen Geräten in Erscheinung treten. Tablet, Fernseher, Smartwatch, PC oder Laptop sind alles nahe liegende Plattformen, über die ein Charakter von FHTAGN kontaktiert werden kann. Die FHTAGN-Software kann auch als eine Art Virus dargestellt werden, der mit steigendem Engagement im FHTAGN-Netzwerk zu einer fortschreitenden Integration des Charakters führt. Auch soziale Netzwerke oder die präferierte E-Commerce-Plattform sind nicht vor FHTAGN gefeit. Denkbar ist bspw. die Bestellung der Gegenstände für den nächsten Auftrag samt Lieferung an die eigene Haustür. Für einen Charakter kann die völlige Durchdringung seines Alltags leicht beängstigende Ausmaße annehmen.
Hacken oder Löschen: Irgendwann werden die Charaktere wahrscheinlich versuchen, die Funktionsweise der App zu verstehen, die Nachrichten zu ihrem Ursprung zurückzuverfolgen oder gar die App zu hacken. Die Spielleiterin benötigt dann plausible Begründungen für das mysteriöse Verhalten der verwendeten Anwendungen (siehe Technische Hintergründe). Ob und welche Informationen die Charaktere erhalten, hängt von der Art der Kampagne ab und bleibt der Spielleiterin überlassen. Wenn der mysteriöse Charakter der App und des Netzwerks vollständig aufrechterhalten werden soll, dann müssen alle Aktivitäten in diese Richtung letztendlich ins Leere laufen.
Eventuell wollen die Charaktere die App auch einfach nur wieder loswerden. Doch das Löschen kann zum Problem werden. Die App kann sich so tief im Betriebssystem verankern, dass sie einfach nicht gelöscht werden kann: Der richtige Software-Button dafür fehlt oder er ist zwar da, beim Anklicken passiert aber nichts, weil im Hintergrund die Rechte entsprechend manipuliert wurden. Und selbst wenn die App gelöscht wurde, so taucht sie vielleicht beim nächsten Neustart des Smartphones oder am nächsten Tag wieder auf.
Mysteriöse Botschaften: Zu Beginn jedes Szenarios erhält jeder Charakter eine Nachricht vom Netzwerk, die ihn ins Szenario führt. Die anfängliche Nachricht sollte gut durchdacht und sorgfältig formuliert sein, da sie die Charaktere (und Spielerinnen) dazu motivieren muss, sich auf das Unbekannte einzulassen und sich in tödliche Gefahr zu begeben. Typischerweise könnte eine solche Botschaft wie folgt aussehen.
FHTAGN
==============================
T+01:04:12:45.
An der Kläranlage.
5 Liter Benzin; weiße Kreide;
Taschenmesser.
Alles Weitere findet sich im
Gebüsch neben dem Nordtor.
Du und 3 andere wissen davon.
Es muss aufgehalten werden!
==============================
Alles anzeigen
Folgende Informationstypen sind typisch für die Aufträge des Netzwerks:
Zeit: Während der Zeitpunkt auch absolut angegeben werden könnte, bietet die Variante mit einem Timer mehrere Vorteile. Abgesehen von der Dramatik eines Countdowns ist die Angabe einer relativen Zeit für die Erstellung einer Kampagne und deren Wiederverwendbarkeit beziehungsweise Übertragbarkeit auf andere Umstände wesentlich einfacher. Der Countdown bezieht sich einfach immer auf das „Jetzt“ des Charakters und wird typischerweise in Tagen, Stunden, Minuten und Sekunden angezeigt.
Ort: Die Angabe des Ortes kann bspw. über eine Geo-Koordinate, eine klassische Adresse oder eine reine Weg- oder Ortsbeschreibung erfolgen. Es ist aber genauso möglich, dass die Benutzerin nur eine Fotografie eines markanten Orientierungspunktes aus einer bestimmten Perspektive erhält und die Position selbst herausfinden muss. Je schneller ein Handeln erforderlich ist, desto genauer sind die Ortsangaben. Wenn man als Spielleiterin an dieser Stelle Schwierigkeiten mit einer realistischen Darstellung hat, so sollte sie eher weniger konkrete und komplexe Beschreibungen ansetzen. „Auf der Überführung beim alten Rangierbahnhof“ sollte den Spielerinnen völlig ausreichen.
Mitstreiter: Das Netzwerk informiert seine Mitglieder darüber, wie viele andere Mitglieder ebenfalls informiert wurden. Dies dient dazu, dass die Charaktere sich schneller finden und hoffentlich dann auch zusammenarbeiten. Wenn erforderlich, wird auch ein Erkennungszeichen angegeben.
Hilfsmittel (optional): Werden bestimmte Hilfsmittel benötigt, gibt das Netzwerk an, was die Charaktere alles besorgen sollen. Dabei darf es sich ruhig um obskure und gefährliche Dinge handeln, sofern diese im Verlauf des Szenarios nützlich werden können. Manchmal gibt das Netzwerk auch Hinweise darauf, was mit den Gegenständen geschehen soll. Das ist vor allem dann der Fall, wenn es sich um einen reinen Transport- oder Unterstützungsauftrag handelt. Möglich ist aber auch, dass der geforderte Gegenstand als Erkennungszeichen dient oder zum dauerhaften Schutz getragen werden muss. Auch in diesen Fällen informiert das Netzwerk die Charaktere über die Verwendung der Hilfsmittel.
Hinweise (optional): Es ist möglich, aber nicht immer erforderlich, den Charakteren am Anfang bereits einen Hinweis zu geben, auf was sie achten sollen. Hinweise können aber auch dazu dienen, die Charaktere zu motivieren. Nachrichtenzusätze wie „Nur du kannst es aufhalten!“ oder „Sonst sterben Unschuldige!“ können die Dringlichkeit des Auftrags noch unterstreichen. Ansonsten kann es sich bei einem Hinweis um alles handeln, was sich auf einem Smartphone normalerweise ansehen oder anhören lässt: Tonaufnahmen, Videos, Fotos, Dokumente, Karten oder obskure Programmfunktionen wie einen Detektor für elektromagnetische Felder.
Zur Bedeutung von FHTAGN
Ph’nglui mglw’nafh Cthulhu R’lyeh wgah’nagl fhtagn.
Überall auf der Welt verwenden Kultisten unabhängig voneinander diesen äonenalten, nicht-menschlichen Ritualspruch, um den Großen Alten zu huldigen. Wie ein hartnäckiges geistiges Virus schleicht sich der Spruch in den Verstand jener, denen die Existenz der Großen Alten bewusst ist. Hat er sich dort einmal eingenistet, kann er nicht mehr vergessen werden. Wissen ist unumkehrbar. Cthulhu fhtagn murmeln selbst noch jene, deren Geist durch die Last des Unnatürlichen zermalmt wurde.
Die Bedeutung wird meistens in etwa so wiedergegeben: „In seinem Haus in R'lyeh wartet träumend der tote Cthulhu.“ Das ist aber nur eine sehr oberflächliche Annäherung an unnatürliche Konzepte, die nicht in menschliche Sprache gefasst werden können. Der Bedeutungsgehalt des sprachlichen Zeichens FHTAGN kann daher nur unvollständig und grob umrissen werden. Sehr wahrscheinlich ist FHTAGN unter anderem mit folgenden Konzepten verbunden: (ab-)warten (bis die Sterne richtig stehen); einen (Zeit-)Plan verfolgen; (über das eigene Herrschaftsgebiet) Wache halten; ewig oder zeitlos sein; ruhen oder schlafen; träumen oder Visionen haben.
Aufgrund der genannten Bedeutungsaspekte entspricht FHTAGN recht genau dem Wesen der hier vorgestellten Geheimgesellschaft, deren Mitglieder stets auf die nächste mysteriöse Botschaft warten, auf den nächsten Orakelspruch aus dem Nichts, um dann zu handeln, wenn die Sterne richtig stehen.
Hintergrund und Vorgeschichte
Wie lange es das FHTAGN-Netzwerk gibt, ist unbekannt. Sein Name, seine Erscheinungsform, seine Organisationsstruktur und seine Kommunikationswege können sich bereits mehrfach geändert haben. Das Netzwerk passt sich der Situation und dem Zeitgeist an. Wer hinter FHTAGN steht, ist nur wenigen bekannt und diese Personen sind entweder nicht auffindbar oder schweigen darüber. Neulingen wird schnell klar, dass irgendjemand alle Fäden des Netzwerks in der Hand hält – irgendjemand, der die Informationen und Ressourcen des Netzwerks mit unnatürlich erscheinender Präzision koordiniert.
Wer ist also dieser „jemand“? Wozu dient das Netzwerk wirklich? Arbeiten die Charaktere tatsächlich für die richtige Seite? Wie gehen die Charaktere damit um, wenn sie die Wahrheit über das FHTAGN-Netzwerk erfahren? Das sind die zentralen Fragen, um die sich eine FHTAGN-Kampagne früher oder später drehen wird. Spätestens nach den ersten überstandenen Szenarien werden die Charaktere anfangen, sehr viele Fragen zu stellen. Für einen One-Shot ist es meist nicht zwingend notwendig, sich über die Hintergründe des Netzwerks allzu viele Gedanken zu machen, für eine Kampagne dagegen ist dies essenziell. Folgende Hintergründe sind bspw. denkbar.
- Ein mächtiger Zauberer will Wissen/Artefakte sammeln.
- Ein Seher will seine Visionen verhindern oder wahr werden lassen.
- Ein erfahrener Mythos-Jäger (z. B. Dr. Henry Armitage) will den Widerstand organisieren.
- Ein Kult arbeitet an einem dunklen Langzeitritual.
- Ein Hackerkollektiv will die Wahrheit aufdecken.
- Eine Künstliche Intelligenz hat ein Muster erkannt und kann bestimmte Mythos-Vorfälle vorhersagen.
- Eine ältere Gottheit will ihre Widersacher ausschalten.
- Die Mi-Go experimentieren mit dem Verhalten der Menschen.
- Die Yithianer reparieren eine Zeitlinie (vielleicht aber nicht unsere Zeitlinie).
- Ein religiöser Orden bekämpft das – aus seiner Sicht – Böse. Das muss nicht nur mit dem Mythos zu tun haben.
- Fanatiker folgen einer Vision.
- Eine Entität aus den Traumlanden bereitet in der Wachen Welt ihr Kommen vor.
Es ist natürlich möglich, einfach loszuspielen und sich erst im Verlauf der Kampagne einen Hintergrund für das FHTAGN-Netzwerk zu überlegen. Soll das Geheimnis des FHTAGN-Netzwerks allerdings ein zentrales Thema der Kampagne sein, dann ist es ratsam sich vorher schon Gedanken zu machen. Dies ermöglicht der Spielleiterin dann auch die Puzzleteile des großen Ganzen auf die einzelnen Szenarien zu verteilen. Die Spielleiterin kann die Spannung ihrer Kampagne dabei durch überraschende Enthüllungen und Wendungen immer weiter steigern. Das Bild, das die Charaktere vom FHTAGN-Netzwerk haben, kann sich so im Verlaufe der Kampagne radikal verändern.
Beispiel: Kampagnenverlauf
In einer FHTAGN-Kampagne könnte die Enthüllung der unnatürlichen Wahrheit über das Netzwerk bspw. in Anlehnung an die klassische Tragödie in folgenden fünf Akten ablaufen:
Exposition: Die Charaktere erhalten mysteriöse Nachrichten über die FHTAGN-App. Sie gehen den Hinweisen nach, treffen auf andere Menschen, denen es ebenso geht, und überleben irgendwie ihre ersten Begegnungen mit dem Unnatürlichen. Sie fühlen sich früher oder später als Teil einer Geheimorganisation, die sie beim Schutz der Menschheit unterstützt.
Konflikt: Im Verlauf der nächsten Zwischenszenen und Szenarien müssen die Charaktere mehr und mehr auch zweifelhafte Dinge tun. Sie bekommen Zweifel, rechtfertigen die Mittel aber wahrscheinlich mit dem Zweck.
Wendepunkt: Die Charaktere finden heraus, dass eine künstliche Intelligenz die Ressourcen des Netzwerks koordiniert. Das erklärt aber immer noch nicht, warum diese künstliche Intelligenz so präzise scheinbar zufällige Ereignisse vorhersehen kann.
Verzögerung: Die Hinweise verdichten sich, dass die künstliche Intelligenz von Leuten aus der Zukunft gebaut wurde, um irgendeinen Schaden an der Zeitlinie zu reparieren. Doch wer sind diese Leute und was soll durch das Netzwerk genau verändert werden?
Katastrophe: Die Charaktere erfahren, dass das Netzwerk nicht von Menschen eingerichtet wurde. In Wirklichkeit stecken die Yithianer dahinter. Und sie arbeiten an einer Zeitlinie, in der die Zukunft der Menschheit sehr düster aussieht. Können die Charaktere den Plan noch vereiteln?
Das FHTAGN-Netzwerk abwandeln
Die Grundideen des FHTAGN-Netzwerks lassen sich nicht nur für ein soziales Online-Netzwerk in der Gegenwart verwenden. Sie können stattdessen auch in vielen anderen Settings auf anderen Entwicklungsstufen verwendet werden. Aus der Perspektive der Spielleiterin müssen hauptsächlich zwei Punkte an das Setting angepasst werden: die Erscheinungsform des Netzwerks und die Art der Kommunikation zwischen den Charakteren und dem Netzwerk. Beim Spiel in der Gegenwart können andere Erscheinungsformen dazu dienen, den Spielerinnen FHTAGN in einer anderen Maske zu präsentieren.
In historischen Settings gibt es keine individuellen Echtzeit-Kommunikationsmöglichkeiten wie heute durch Smartphones und andere elektronische Geräte. Wenn solche Möglichkeiten nicht jedem Charakter zur Verfügung stehen, unterscheidet sich die Kommunikation mit dem Netzwerk möglicherweise von Charakter zu Charakter. Dies ist besonders wahrscheinlich, wenn es zwischen den Charakteren erhebliche soziale Standesunterschiede gibt. So wird die feine englische Lady ihre Botschaften vielleicht über ihren Bridge-Club erhalten, während das Küchenmädchen eher einen Zettel von einem Straßenkind zugesteckt bekommt. Bei etablierten Gruppen, deren Mitglieder sich schon kennen und die öfter zusammengearbeitet haben, reicht es, nur noch ein Gruppenmitglied zu informieren. Das Netzwerk kann dann wahrscheinlich darauf vertrauen, dass sich die Mitglieder der Gruppe gegenseitig alarmieren.
Unterschiedliche Kommunikationswege können in der Konsequenz dazu führen, dass unterschiedliche Charaktere auch unterschiedliche Erscheinungsformen von FHTAGN wahrnehmen. Wenn die Charaktere sich dazu austauschen, kann das die Situation noch mysteriöser und undurchschaubarer machen, als sie es ohnehin schon ist. Und das kann von derjenigen, die im Hintergrund die Fäden zieht, natürlich genau so beabsichtigt sein.
Der Hintergrund des Netzwerks ist weitgehend unabhängig vom Setting. Die Ausführungen im Abschnitt Hintergrund und Vorgeschichte zum FHTAGN-Netzwerk in der Gegenwart gelten universell. Nur bei den beispielhaften Hintergründen können die, die auf moderner Hightech beruhen, natürlich in historischen Settings nicht verwendet werden. Es sei denn, die Spielleiterin will auch Zeitreisen in ihre Kampagne einfügen ...
Der Name FHTAGN ist zeitlos (verwendbar ab ES 0), recht bedeutungsoffen und daher universell einsetzbar. Er sollte in den meisten Settings verwendbar sein. Aber wenn eine Spielleiterin bereits durch einen alternativen Namen eigene Akzente setzen möchte kann sie das natürlich tun (siehe Namen von Organisationen).
Erscheinungsformen und Entwicklungsstufen
Die Selbstbezeichnung des FHTAGN-Netzwerks hängt von der gewählten Fassade beziehungsweise Erscheinungsform und der Zeitepoche ab und sollte entsprechend angepasst werden. So passt der Begriff Netzwerk nicht zu einer Kampagne im Viktorianischen Zeitalter, wo sich Loge oder Gesellschaft als Selbstbezeichnung besser eignen. Arbeiten die Charaktere für ein internationales Logistikunternehmen, passt Corporation ganz gut, tritt FHTAGN jedoch als Aktivistengruppe auf, wären Initiative oder Projekt passender. Die folgende Aufzählung nennt solche Selbstbezeichnungen und die Entwicklungsstufe, ab der sie verwendet werden können. Alle Bezeichnungen können auch auf späteren Entwicklungsstufen noch verwendet werden, werden dort aber teilweise als altmodisch oder überholt empfunden.
Zusammenkunft (ES 0): Eine meistens informelle Versammlung von verschiedenen Individuen, die gemeinsam einer bestimmten Sache nachgehen oder einen bestimmten Zweck erfüllen wollen. Im religiösen Kontext auch als Konvent bezeichnet.
Bündnis (ES 0): In einem Bündnis kommen unterschiedliche Partner zusammen, die ein gemeinsames Ziel erreichen wollen. Diese sind nicht zwingend gleichberechtigt und zumeist liegt einer solchen Allianz oder einem solchen Pakt ein Vertrag zugrunde.
Verschwörung (ES 0): Verbundenheit durch das Ziel, üble Dinge bewirken zu wollen. Einer solchen Intrige oder Konspiration liegt Verschwiegenheit und Geheimhaltung zugrunde.
Orden (ES 2): Diese durch eine zumeist religiöse Institution organisierte Lebensgemeinschaft unterwirft ihr Leben einer gemeinsamen Vorschrift (Ordensregel) und verfolgt ein gemeinsames Ziel. Vielfach werden zur Aufnahme in einen Orden feierliche Gelübde abgelegt.
Renegaten (ES 2): Dieser Begriff bezeichnet Abtrünnige einer Religion oder eines bestehenden Wertesystems. Insbesondere wenn ein starker Glaubensaspekt als Motivation verwendet wird, kann als Synonym auch Apostaten verwendet werden.
Zirkel (ES 3): Eine soziale Gruppe, die sich gegenüber anderen durch Merkmale wie Kleidung, Auftreten, Weltanschauung, Herkunft oder Stand abgrenzt. Die Mitglieder eines Zirkels haben eigene Normen und Wertvorstellungen sowie zumeist eine gruppeneigene Rollenverteilung. Ein Zirkel kann viele Formen annehmen, von einer kleinen religiösen Gemeinschaft (Sekte) über einen spiritistischen oder okkulten Zirkel bis zu einer kulturellen Minderheit.
Loge (ES 4): Die Mitglieder einer Logenvereinigung grenzen sich gegenüber der Öffentlichkeit ab und über Interna wird Stillschweigen bewahrt. Sie verbindet ein gemeinsames Gedankengut und eine Aufnahme in die Loge erfolgt in der Regel erst nach einer Prüfung. Bekannte Logen sind die Freimaurer, die International Grand Lodge of Druidism oder die Rosenkreuzer.
Gesellschaft (ES 4): Zwei oder mehr Personen, die einem gemeinsamen Interesse nachgehen oder ein gemeinsames Ziel verfolgen. Eine Gesellschaft kann über eine große Bandbreite an Regeln und Organisationsformen verfügen, z. B. als Club, Verein oder Verbindung.
Projekt (ES 6): Bei diesem zeitlich meist begrenzten Zusammenschluss verschiedener Personen steht ein bestimmter Arbeitsinhalt oder ein bestimmtes Ziel im Vordergrund. Vielfach wird auch gerade in der Kunst- und Kulturszene ein Neuanfang oder etwas außerhalb der Reihe als Projekt bezeichnet.
Corporation (ES 7): Die Corporation (Unternehmen oder konkret Firmengruppe, AG, GmbH und so weiter) meint Firmen in unterschiedlicher Größe. Dies kann eine weltumspannende Aktiengesellschaft sein, die so groß ist, dass Teileinheiten ihr Eigenleben führen können bzw. so anonym sind, dass etwaige Machenschaften im Rahmen von FHTAGN plausibel erscheinen. Oder es meint die kleine, aber elitäre Firma, die geheimnisvolle Aufträge für nicht näher genannte Kunden realisiert.
Initiative (ES 7): Eine aufgrund eines konkreten sozialen, ökonomischen oder ökologischen Anlasses heraus gebildete Interessenvereinigung mit dem Ziel, die Ursachen eines zumeist als negativ empfundenen Umstandes zu ändern.
Netzwerk (ES 8): Das Netzwerk ist die Standardbezeichnung für FHTAGN in der Moderne. Dahinter steht eine gemeinsame technische Plattform, auf der die Teilnehmer des Netzwerks interagieren. Sie können darum auch als soziales Netzwerk oder Online-Community bezeichnet werden.
Die jeweilige Selbstbezeichnung kann dann im Spiel auch einzeln verwendet werden, um in der Öffentlichkeit unauffällig über die Organisation zu sprechen. Bspw. können Anhänger des FHTAGN-Ordens in der Öffentlichkeit einfach nur vom Orden sprechen und Mitglieder einer Gesellschaft können sich auf der Straße fragen: „Hat dich auch die Gesellschaft geschickt?“
Die Erscheinungsform, also das Bild, das die Charaktere von FHTAGN haben, kann sich auch im Laufe einer Kampagne verändern. Was zu Beginn vielleicht nur seltsame Anweisungen von ihrem Arbeitgeber waren, mag sich wandeln, wenn die Charaktere auf andere Betroffene gestoßen sind, sich gegenseitig geholfen und verstanden haben, dass furchtbare Wahrheiten dahinterstehen. Wahrscheinlich empfinden sie sich dann eher als Teil einer Geheimgesellschaft.
Namen von Organisationen
Der Name FHTAGN wird in offiziellen Publikationen für die beschriebene Organisation in allen ihren Spielarten verwendet. Die Spielleiterin kann sich für ganz andere Organisationen – oder wenn sie den Namen FHTAGN aus irgendeinem Grund nicht verwenden will – einen eigenen Namen überlegen. Im Idealfall passt der Name sprachlich zum Setting und hat eine (möglicherweise nicht offensichtliche) Bedeutung, die auf die Geschichte, das Ziel oder die Art der Organisation hindeutet. Wenn die Spielleiterin sich diese Mühe nicht machen will oder spontan einen passenden Namen benötigt, so bietet die folgende Liste ein paar Beispiele, die in jedes Setting passen.
- Amduat
- Astarte
- Cortex
- Enki
- Mandatum
- Nuktari
- Toth
Zusammen mit der Bezeichnung der Erscheinungsform der Organisation lassen sich spannende Bezeichnungen für die eigene Kampagne ersinnen. Sei es die Toth Inc., die Mandatum-Loge, das Enki-Projekt oder der Orden des Amduat – die Möglichkeiten sind vielfältig.
Die Gegenwart
In keiner anderen Zeit ist die Anzahl der möglichen Erscheinungsformen und Fassaden von FHTAGN so groß wie in der Gegenwart. Im Grunde kann jede mögliche Erscheinungsform gewählt werden. Im Folgenden sind beispielhaft einige Alternativen zu FHTAGN als mysteriöses soziales Netzwerk aufgeführt, die besonders geeignet für die Gegenwart sind.
Die Geheimgesellschaft: Die Charaktere sehen sich als Teil einer kleinen elitären Gruppe, die geheimes Wissen besitzt. Dies kann eine esoterische Bruderschaft sein oder ein religiöser Kult oder eine Gruppe von Verschwörungstheoretikern, die sich über das Internet austauschen.
Das Spiel: Die Charaktere nehmen an einem Spiel teil, für das sie sich angemeldet haben. Zumindest glauben sie das zunächst. Es könnte sich um ein Rätsel-Spiel einer Online-Plattform handeln, bei dem den Siegern ein Preisgeld winkt. Vielleicht sind sie aber auch im Darknet über eine Augmented-Reality-App gestolpert.
Der Arbeitgeber: Die Charaktere gehen ihrem Beruf nach. Vielleicht beim Militär oder der Polizei. Vielleicht ist es auch ein Bürojob in einer kleinen Firma oder in einer Behörde. Vielleicht arbeiten sie aber auch für einen weltweit agierenden Riesenkonzern. Jedenfalls erhalten sie immer seltsamere Weisungen von ihren Vorgesetzten.
Die Aktion: Die Charaktere sehen sich als Mitglieder einer Aktivistengruppe und Avantgarde, egal ob gesellschaftlich, künstlerisch, politisch oder religiös. Die durchgeführten Aktionen dienen vordergründig den öffentlichen Zielen der Aktivisten. Bei genauem Hinsehen lassen sich aber auch gewisse Zusammenhänge erahnen, die auf ein fernes, ganz anderes Ziel hindeuten.
Gerade in der Gegenwart mit ihren vielfältigen Möglichkeiten bietet sich auch der Wechsel der Fassade von FHTAGN während der Kampagne an. Was als Spiel auf einer Online-Plattform begann, mag im nächsten Schritt zur Installation der FHTAGN-App und ihrem sozialen Netzwerk führen. Nach einigen Szenarien könnten daraus wiederum eine Gruppe von Verschwörungstheoretikern oder Aktivisten werden.
Die Goldenen Zwanziger
Das klassische Setting für cthuloide Horror-Rollenspiele sind die 1920er und frühen 1930er Jahre. Hier hatte H. P. Lovecraft seine wichtigste Schaffensperiode und die meisten seiner Geschichten spielen darum zu dieser Zeit. Auch wenn Lovecrafts Geschichten hauptsächlich in den USA spielten, können Deutschland und Europa für die deutschsprachige Rollenspielerin der naheliegendere Handlungsort sein.
Erscheinungsformen
Die 1920er Jahre in Deutschland sind geprägt von politischen Unruhen, dem Wirken links- wie rechtsextremistischer Gruppen und sozialem Elend, Hunger und Arbeitslosigkeit nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg. Andererseits nahm die Wirtschaft ab Mitte der 1920er auch einen Aufschwung. Es bietet sich deshalb an, das Netzwerk in einen solchen (vermeintlich) politischen oder sozialen Kontext zu stellen. Dieser Kontext definiert nicht nur die Erscheinungsform des Netzwerkes, sondern auch die Art der ersten Kontaktaufnahme des Netzwerks zu den Charakteren.
Im Gegensatz zur Moderne sind die Motivationen der Charaktere in den 1920ern vermutlich deutlich mehr durch existentielle Probleme berührt. Es ist deshalb noch stärker geboten, die Kontaktaufnahme in einen für die Charaktere nachvollziehbaren und glaubhaften Kontext zu stellen und sich dabei am Hintergrund der Charaktere zu orientieren. Die erste Kontaktaufnahme muss dabei nicht zwangsweise für alle Charaktere auf die gleiche Weise erfolgen, es macht die Sache aber einfacher.
Kontext: Arbeit
Das FHTAGN-Netzwerk könnte einfach der Arbeitgeber der Charaktere sein.
Gelegenheitsjobs: Die Zeiten sind hart und einfache Charaktere versuchen sich mit Tagelöhneraufträgen über Wasser zu halten. Diese können alles umfassen, von schwerer körperlicher Arbeit über Hausmeisterdienste bis zu Botengängen. Die Aufträge beginnen harmlos und werden im Verlauf immer obskurer. Doch der Auftraggeber selbst ist nur ein Mittelsmann, der selbst die Hintergründe nicht kennt. Die Motivation dabei zu bleiben dürfte dennoch hoch sein, denn auf ein regelmäßiges Einkommen sind alle angewiesen und die Jobs lindern die schlimmste Not.
Kriminelle Organisation: Ob während der Prohibition in den USA oder in den Nachkriegsjahren in Deutschland: Wo Not herrscht, sind auch kriminelle Umtriebe nicht weit. Eine solche Organisation bietet viele Möglichkeiten, die Charaktere unauffällig in die Fänge des FHTAGN-Netzwerks zu treiben. Und vielleicht weiß nicht mal der Boss der Gang selbst, mit wem er es da eigentlich zu tun hat.
Wissenschaftlicher Auftrag: Dieser kann entsprechende Charaktere in Kontakt mit dem Netzwerk bringen. In den 1920er Jahren schreitet die Technisierung der Welt massiv voran: Fließbandproduktion, Automobilindustrie, Rundfunk und Luftfahrt sind dafür nur einige Beispiele. Ein ungewöhnliches Projekt oder Experiment für Wissenschaftler oder Ingenieure in der freien Wirtschaft oder an der Universität mag dabei nur der Anfang einer Spirale bizarrer Ereignisse sein.
Regierung oder Polizei: Charaktere aus diesem Umfeld werden vielleicht auf eine extremistische Gruppe oder einen Kreis von Verschwörern angesetzt. Doch letztlich steckt etwas ganz anderes hinter den Aktivitäten, die überwacht und gegebenenfalls verhindert werden sollen. Die Charaktere sind auf sich allein gestellt, da am Ende angeblich niemand von ihrem ursprünglichen Auftrag weiß.
Kontext: Politik
Das FHTAGN-Netzwerk könnte sich als politische Verschwörung präsentieren, zu der Geheimhaltung und Verschwiegenheit natürlich besonders gut passen.
Partei oder politische Gruppierung: Politisch engagierte Charaktere erhalten kleine Aufträge, die dem Voranbringen ihrer Überzeugungen dienen sollen. Diese erscheinen zunächst relativ harmlos, z. B. kleinere Botengänge, wachsen sich im Verlauf aber zu immer bizarreren Aktionen aus. Am Ende steckt etwas völlig anderes dahinter, als die Charaktere erwartet haben.
Kundgebungen: Politisch interessierte Charaktere könnten den Aufruf zu einer Kundgebung lesen – wo schließlich sie die einzigen Anwesenden sind, bis auf einen ominösen Auftraggeber oder einen angepinnten Zettel mit einem ersten Auftrag. Auch hier steckt scheinbar eine politische Organisation dahinter, der die Charaktere aber (noch) nicht angehören.
Militär: Innerhalb des Militärs können den Charakteren die ersten Aufträge des FHTAGN-Netzwerks zunächst als offizielle Aufgaben präsentiert werden. Im Verlauf dürften die Aufträge deutliche Zweifel an der Motivation und den Hintergründen der Befehlsgeber aufkommen lassen und schließlich weiß niemand, wer diese Befehle gegeben haben soll.
Kontext: Gesellschaft
Verschiedene gesellschaftliche Gruppierungen jenseits von Politik und Arbeit könnten ebenfalls als Kontext dienen.
Nachtleben: Das schillernde Nachtleben der Goldenen Zwanziger mit seinen Cafés, Varietés, Tanzbars und Theatern bietet gelangweilten Charakteren der Oberschicht die Möglichkeit, mit dem FHTAGN-Netzwerk in Kontakt zu kommen – sei es durch die geheimnisvolle Schöne an der Bar, kleine Zettel oder verrückte Wetten, von denen später niemand mehr weiß, wer sie in den Raum gestellt hat. Ein entsprechendes Etablissement könnte hier zugleich als Treffpunkt dienen. Vielleicht ist das genannte Etablissement nur nachts durch eine geheimnisvolle Tür zu erreichen, die in einen abgeschiedenen Hinterraum führt ...
Kunstmäzen: Künstlerisch veranlagte Charaktere haben es einerseits in wirtschaftlich schweren Zeiten besonders schwer. Andererseits waren die 1920er Jahre auch eine Blütezeit von Kunst und Kultur. Das Netzwerk könnte sich darum als verlängerter Arm eines Kunstmäzens oder einer reichen Gönnerin präsentieren. Eine aufstrebende Schauspielerin könnte von einem geheimnisvollen Auftraggeber für ganz besonderes Einlagen engagiert werden, während ein darbender Schriftsteller vielleicht mit außergewöhnlichen Erlebnissen gelockt werden kann, in der Hoffnung, seine Schreibblockade zu überwinden.
Reformbewegungen: Freikörperkult, „zurück zur Natur“, Naturheilkunde und Ernährungsreform – die Reformbewegungen des ausgehenden 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts haben nicht wenige Anhänger und bieten ebenfalls einen guten Kontext für das FHTAGN-Netzwerk. Engagierte Aktivisten tun so manches, um „ihre gute Sache“ voranzubringen.
Kommunikationswege
In den 1920ern bieten sich verschiedene Wege für die anonyme Kommunikation des FHTAGN-Netzwerks mit den Charakteren an. Mehr als in der digital verknüpften Moderne kann es wichtig sein, den Charakteren einen Ort als regelmäßigen Treffpunkt zur Verfügung zu stellen.
Telegramme: Die Charaktere erhalten anonyme Telegramme, die ihnen Aufträge erteilen. Forschen sie nach, will niemand die Telegramme versendet haben.
Zeitungsannoncen: Diese sind direkt an die Charaktere gerichtet. Die Annoncenabteilung behauptet, die Annonce sei nie beauftragt worden und die Druckerei hat keine Ahnung, wie sie in den Drucksatz geraten ist.
Litfaßsäule: Plakate an einer der vielen Litfaßsäulen scheinen sich mit seltsamen Botschaften direkt an die Charaktere zu wenden. Bei einer späteren Kontrolle ist das Plakat natürlich verschwunden und der Besitzer der Säule (der die Werbefläche vermietet) weiß nichts von einem entsprechenden Auftraggeber oder Plakat.
Kino: Die Charaktere besuchen eine späte Kinovorstellung, in der sie die einzigen Zuschauer sind. Auf der Kinoleinwand tauchen Anweisungen auf, die sich direkt an sie zu richten scheinen. Überprüfen die Charaktere die Filmrolle, stellen sie fest, dass der Filmvorführer eingenickt ist und die Filmrolle die entsprechenden Stellen natürlich nicht enthält.
Leuchtreklame: Eine der neumodischen Werbeformen, die nachts die Stadt erhellen, trägt eine ungewöhnliche Botschaft, die nur den Charakteren aufzufallen scheint. Diese Variante eignet sich nur für sehr kurze Botschaften, die den Charakteren z. B. einen Ort oder Namen nennen. Die Leuchtreklame zeigt beim nächsten Mal natürlich wieder etwas ganz anderes an oder ist gänzlich verschwunden.
Briefkasten: Briefe oder Zettel mit Informationen können auch in den Briefkasten der Charaktere geworfen oder unter ihrer Tür hindurch geschoben werden. Dabei kann man entweder nie jemanden beobachten oder die Person, die den Zettel abliefert, wurde nur von jemandem damit beauftragt. Der Auftraggeber ist (zunächst) nicht zu ermitteln. Vielleicht sind die Zettel in einer Geheimschrift verfasst, für die die Charaktere anfangs den Code erhalten.
Auftraggeber: Sie erhalten Aufträge direkt von einem Auftraggeber, doch dieser ist nur der Mittelsmann des Mittelsmannes ...
Radio: Ab den späten 1920er Jahren bietet sich auch das mehr und mehr verbreitete Radio an, um nach plötzlichem Rauschen Botschaften zu übermitteln.
Zettel mit Anweisungen: Die Charaktere bekommen eine gefaltetes Blatt Papier mit Anweisungen in einem Etablissement des lokalen Nachtlebens zugesteckt – einer Flüsterkneipe (nur USA), einer Opiumhöhle, einem Bordell oder einer zwielichtigen Tanzbar.
Telefon: Die Charaktere bekommen Anrufe, wenn sie in ihrer Stammkneipe oder ihrem Lieblingsrestaurant sind. Am Telefon erhalten sie Botschaften von einem Unbekannten mit verzerrter Stimme.
Selbst Kontakt mit dem Netzwerk aufzunehmen ist für die Charaktere nicht einfach. Es bleibt ihnen also, sich an die Anweisungen zu halten oder diese zu ignorieren. Um doch Kontakt aufzunehmen, könnten sie selbst Plakate an die Litfaßsäule kleben oder z. B. einen zuvor etablierten toten Briefkasten nutzen. Ob die Charaktere im Laufe der Zeit herausfinden können, von wem die Botschaften kommen, ist der Spielleiterin und ihrem persönlichen Metaplot überlassen.
Das ausgehende 19. Jahrhundert
Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ist geprägt von starken gesellschaftlichen Gegensätzen. Die verschiedenen Länder bieten viele unterschiedliche Hintergründe und Settings für Varianten des FHTAGN-Netzwerks.
In Großbritannien herrscht Queen Victoria, die dem Viktorianischen Zeitalter den Namen gab. Das Britische Empire ist auf dem Höhepunkt seiner weltweiten Macht. Ein starkes soziales Gefälle trennt elende Arbeiter von privilegierten Aristokraten. Die Doppelmoral der Zeit zeigt sich zwischen rigider evangelikaler Sexualmoral auf der einen und massenhafter Prostitution auf der anderen Seite. Technische Innovation trifft auf die ausgeprägte Begeisterung für Romantik, Mystik und Séancen. Opiumhöhlen, Straßenkinder und Jack The Ripper treffen auf das Wiederaufleben der Gothic Novel mit Robert Louis Stevensons Dr. Jekyll und Mr. Hyde oder Bram Stokers Dracula. Die zahlreichen Kolonien des Empires erlauben es der Spielleiterin, mit Leichtigkeit auch Reisen und Aufträge in aller Welt einzubauen.
Das Deutsche Kaiserreich wird seit 1888 von Wilhelm II. regiert, die Epoche wird deshalb auch Wilhelminische Zeit genannt (1890 – 1914). Die Zeit ist geprägt vom Aufstieg der Arbeiterschaft im Rahmen der Industrialisierung, Zuzug in die Städte, Armut und Mietskasernen einerseits und andererseits dominiert von Adel und Militär. Insbesondere letzteres gewinnt stark an Bedeutung und der Ehrenkodex des Militärs beeinflusst die Gesellschaft bis ins Bürgertum und die Arbeiterschaft hinein.
Auch das Gilded Age (ca. 1870 – 1900) in den USA ist damals geprägt von Gegensätzen. Auf der einen Seite Wirtschaftswachstum, Industrialisierung und Fortschritt vor allem im schon langen erschlossenen Osten der USA bis hin zu Weltwundern wie den ersten Hochhäusern oder der Weltausstellung in Chicago 1893. Zur gleichen Zeit existiert der Wilde Westen – klischeehafte rauchende Colts, Goldsucher und Cowboys eingeschlossen –, denn die Landnahme im Westen des riesigen Kontinents ist erst 1890 mit dem Schließen der Frontier und dem Ende der Indianerkriege abgeschlossen. Gesellschaftlich existieren starke Gegensätze zwischen den in dieser Zeit in hoher Zahl ankommenden armen Einwanderern aus Süd- und Osteuropa, den unter armseligen Bedingungen auf Farmen lebenden ehemaligen Sklaven in den Südstaaten der USA und den etablierten „alten Einwanderern“ aus Westeuropa.
Erscheinungsformen
Die Mehrzahl der gesellschaftlichen Gruppen dieser Zeit sind stark auf Menschen genau einer sozialen Schicht, Berufsgruppe, eines Geschlechts oder einer Herkunft ausgerichtet. Gerade im 19. Jahrhundert bietet es sich also an, dass die Charaktere wie oben beschrieben FHTAGN in unterschiedlichen Erscheinungsformen wahrnehmen. Alternativ muss die Spielleiterin dafür sorgen, dass alle Charaktere aus der gleichen gesellschaftlichen Gruppe stammen, beziehungsweise eine der wenigen Erscheinungsformen wählen, die tatsächlich unabhängig von der gesellschaftlichen Rolle der Charaktere sind.
Folgende beispielhafte Erscheinungsformen sind für das 19. Jahrhundert besonders geeignet.
Spiritistischer Zirkel: Die Charaktere können die Mitglieder eines der damals populären spiritistischen Zirkel sein. Die Aufträge und Nachrichten werden während der gemeinsamen Séancen durch das Medium übermittelt. Das Medium kann einer der Charaktere oder ein Nichtspielercharakter sein. Im letzteren Fall bleibt es der Spielleiterin überlassen, ob das Medium die Nachrichten tatsächlich auf okkultem Weg oder aus einer weltlichen Quelle erhält. Die Kontaktaufnahmen mit dem „Geist“ müssen nicht durch ein Medium erfolgen, sondern könnten auch durch ein Ouija-Brett oder eine ähnliche Technik erfolgen. Diese Alternative bietet sich an, wenn keiner der Charaktere ein Medium spielt und kein Nichtspielercharakter Mitglied des Zirkels sein soll. Der spiritistische Zirkel ist eine der Möglichkeiten, bei denen nahezu alle Charaktere unabhängig vom Stand und Geschlecht teilnehmen können. Allerdings werden manche Charaktere darauf achten müssen, ihre Mitgliedschaft im Zirkel nicht publik werden zu lassen.
Geheimlogen: Ähnlich den Freimaurern sind Geheimlogen ihrer Natur nach sehr gut als Erscheinungsform für FHTAGN geeignet. Sie haben umfangreiche und bizarre Rituale, eine strenge Hierarchie und gleichzeitig ausgeprägte Geheimhaltung, was ihre Ziele, ihre Methoden und ihre Mitglieder angeht. Erst durch den langsamen Aufstieg in der Hierarchie lernen die Charaktere Hintergründe und andere Mitglieder kennen und fangen an zu verstehen, was wirklich hinter der Loge und ihren Ritualen steht.
Studentenverbindungen: Diese hatten neben der Traditionspflege oft auch politische Ziele. Charaktere, die einer Studentenverbindung angehören, können das Netzwerk der Verbindung aber auch zum Einstieg in ihre Karriere oder zu deren Förderung nutzen. Die „Alten Herren“ fordern für die Empfehlung zu der neuen, gut dotierten Anstellung vorher die Erledigung einer merkwürdigen Aufgabe. Und auch wenn die ersehnte Position erreicht ist, werden immer wieder neue Gefallen eingefordert.
Träume und Visionen: Alle Charaktere haben sehr real wirkende Träume und Visionen. Sei es im Rahmen eines Drogenrausches in einer der Opiumhöhlen, die von Hamburg bis London in den Hafenstädten aufblühen, in einem Fiebertraum während einer schweren Erkrankung oder gar als Symptom einer Geisteskrankheit. Anschließend haben sie solche Träume wiederkehrend auch während der ganz normalen Nachtruhe. Wenn sie den Visionen nachgehen, stoßen sie auf die Loge der Träumer, deren Mitglieder alle entsprechende Phänomene kennen. Die Träume enthalten Botschaften und Anweisungen, können aber auch eine Verknüpfung zu den Traumlanden herstellen. Diese Erscheinungsform passt ohne Einschränkungen zu jedem Charakter.
Clubs: Treffen in exklusiven Clubs waren vor allem in Großbritannien sehr üblich und gerade ein Gentleman verbrachte oft viel Zeit in seinem Club. Zumeist waren diese streng nach Geschlechtern und Stand getrennt. Aber dieser neue Buchclub steht allen offen und die Bücher, die dort gelesen werden, sind oft obskurer Herkunft. Und manchmal fallen auch noch Zettel mit seltsamen Botschaften und Anweisungen aus den Büchern ...
Kommunikationswege
Viele der Kommunikationswege der 1920er Jahre funktionieren auch im ausgehenden 19. Jahrhundert. Das Telegramm ist nach dem Brief das Hauptkommunikationsmittel der Zeit. Das Telefon wurde gerade erst erfunden und hat je nach Jahr und Ort nur geringe praktische Bedeutung. Okkultismus ist vielerorts modern und darum werden übernatürliche Kommunikationsformen ganz anders wahrgenommen als in heutiger Zeit.
Straßenkinder: Diese zerlumpten Gestalten in einem Elendsviertel überbringen den Charakteren mündliche oder mit ungelenker Hand auf kleine Zettel geschriebene Botschaften. Die auftraggebende Person bleibt stets in den Schatten und keines der Kinder hat je sein Gesicht gesehen. Die Kinder können durch ihre große Anzahl durchaus in der Lage sein sich gegen Gewalt zu wehren oder sogar ihrerseits die Charaktere zur Durchführung bestimmter Aufgaben zu zwingen.
Okkulte Wege: Die Botschaften werden den Charakteren auf okkulte Weise übermittelt – sei es durch die Worte oder das automatische Schreiben eines Mediums, durch Gläserrücken oder durch ein Ouija-Brett.
Visitenkarten: Die Botschaften werden den Charakteren auf der Rückseite von Visitenkarten übermittelt, die bei ihnen zu Hause abgegeben werden oder sie werden mündlich von ihren eigenen oder anderer Leute Dienstboten übermittelt. Die Namen und Adressen auf den Visitenkarten existieren nicht (oder nicht mehr), können aber weitere verdeckte Hinweise enthalten, z. B. in Form eines Anagramms. Die Visitenkarten werden immer nur abgegeben, wenn die Charaktere nicht zu Hause sind.
Briefe: Die Charaktere erhalten Briefe ohne Absender mit den Aufträgen. Die geheimnisvolle Verfasserin unterschreibt nur mit Initialen, mit „Eine Freundin“ oder gar nicht.
Zettel: Einfache Zettel mit Anweisungen und Nachrichten können den Charakteren auf unterschiedlichste Weise zugestellt werden. Sie finden sich zwischen den Seiten alter Folianten in der Bibliothek oder in einem neu erworbenen antiquarischen Buch. Oder sie wurden in einem Club der gehobenen Gesellschaft mit dem Whisky oder dem Portwein serviert – der Butler ist ahnungslos oder schweigt hartnäckig. Vielleicht findet ein Charakter den Zettel auch unvermutet in seiner eigenen Jackentasche und hat keine Ahnung, wie er dort hingekommen ist. Die Möglichkeiten sind endlos, aber egal wie scheinbar zufällig der Charakter auf den Zettel gestoßen ist – er ist immer direkt an ihn gerichtet.
Geheimnisvolle Person: Eine geheimnisvolle Fremde, die offenbar von hohem Stand ist, macht bizarre Andeutungen, gibt merkwürdige Hinweise und fordert die Charaktere zu absurd erscheinenden Dingen heraus. Die Charaktere schaffen es zunächst nicht, sie zu verfolgen und ihren Hintergrund zu klären.
Militär: Charaktere, die einen militärischen Rang bekleiden – und sei es nur in der Reserve –, erhalten die Anweisungen von ihren Vorgesetzten, die sie wiederum auch von ihren Vorgesetzten haben. Gemäß dem geltenden Ehrenkodex werden Befehle im Militär nicht in Frage gestellt.
Träume, Visionen oder Erscheinungen: Den Charakteren werden darin bizarre Botschaften und Aufträge übermittelt. Die übernatürliche Form der Botschaft ist hier natürlich unmittelbar klar, kann aber in dieser Zeit durchaus als im Bereich des Möglichen angesehen werden.
Werbung: Daneben bieten sich auch anonyme Telegramme, Zeitungsannoncen oder Plakate auf Litfaßsäulen an (siehe Die Goldenen Zwanziger).
Auch in der viktorianischen Zeit ist es für die Charaktere nicht einfach, selbst Kontakt mit dem Netzwerk aufzunehmen. Am ehesten ist es über tote Briefkästen möglich, aber auch Straßenkinder oder Briefe per Postdienst können Fragen und Botschaften an das Netzwerk übermitteln. In allen diesen Fällen muss aber das Netzwerk die Möglichkeit eröffnen. Okkulte Wege können davon ganz unabhängig sein, haben aber ihre eigenen Schwierigkeiten. Die Spielleiterin kann auch weitere Mitglieder des Netzwerks als Kontakte einzuführen, speziell wenn diese ganz anderen sozialen Schichten als die Charaktere selbst angehören. Wie immer ist es der Spielleiterin überlassen, ob die Charaktere im Laufe der Zeit herausfinden können, von wem die Botschaften kommen und was dahintersteckt.