Transatlantis
Gewinner des Fragmente Wettbewerbs 2022.
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Iä! Iä! Cthulhu fhtagn!
Seltsame Anrufe führen dich in einen Kreis durch Vergangenheit, Gegenwart und vielleicht auch weiter. Irgendwo in deiner Biografie verbirgt sich ein Fragment des Yog-Sothoth, der Alles-in-Einem ist, der Schlüssel und das Tor. Aber was liegt auf der anderen Seite?
Ein kleines, verstörendes, zwielichtiges One-on-One.
Natürlich klingelt das Telefon. Anhaltend und aufdringlich. Bis du dich erbarmst. Die verständnislosen Rückfragen deinerseits sind nicht aufgeführt. Natürlich kannst du jederzeit auflegen. Dann vergeht etwas Zeit. Und natürlich klingelt das Telefon erneut. Ausdauernd und anmaßend. Die Botschaft setzt nahtlos fort, wo sie zuvor unterbrochen wurde.
Ein Anfang offenbar. Die Stimme klang ein wenig nervös aber durchaus positiv. In gespannter Erwartung? War da ein leichtes Kratzen oder Rauschen in der Leitung? Ein fehlgeleiteter Kontaktversuch, das ist definitiv die beste Erklärung. Und doch: Die Person am anderen Ende war seltsam vertraut, trotz ihrer Fremdheit. Nuancen der Aussprache, Betonung und Modulation erzeugen - was? Ein Echo? Sympathie?
Nach angemessener Zeit klingelt das Telefon. Arglistig. Dieselbe Stimme wie beim ersten Mal. Weniger unsicher vielleicht, dafür aufgeregter.
Es wurden Dinge in Gang gesetzt, so scheint es. Die Stimme klingt ungewöhnlich diesmal, wie durch ein Tuch gesprochen. Oder es war einfach eine schlechte Verbindung. Aufregung war zu spüren. Du kennst das Gefühl. Ein Entschluss ist gefallen. So, wie ein Felsen umfällt. Nicht mehr zu verschieben.
Zeit vergeht, bis das Telefon wieder klingelt, abrupt und alarmierend. Ohne Zweifel spricht noch immer dieselbe Person, leiser jedoch, fast flüsternd. Pausen verdichten sich zu Inseln des Schweigens. Ist die Verbindung stabil?
Eine ungute Wendung. Besorgnis und Angst übertragen sich auf dich. Dir ist kalt. Dein Atem kondensiert zu zartem Nebel, der unentschlossen in der Luft hängt. Eine allumfassende Stille dringt aus dem Telefon. Warum macht die Person dich verantwortlich? Was genau erwartet sie von dir? Wie kann es sein, dass du keine Ahnung hast, was hier passiert?
Und noch einmal klingelt das Telefon, angsteinflößend und abstoßend.
Nach diesem letzten Anruf scheint sich der Raum um dich zu drehen. Das Telefon gleitet dir aus der Hand, du hast Angst zu stürzen. Wann immer du versuchst, jemanden zu erreichen, ist nur ein Rauschen in der Leitung zu hören und ganz entfernt, sehr leise und vielleicht auch nur in deiner Erinnerung die letzten Worte: Ich …, Du …, bald …
Früher oder später will man der Sache auf den Grund gehen, wissen woher diese Anrufe kommen, wer da spricht, warum es keine Reaktionen zu geben scheint und vor allem, warum die Botschaften so erschüttern. Ein technischer Ansatz ist denkbar. Geräte werden beschafft und mit dem eigenen Apparat verbunden. Eine Fangschaltung. Das führt zu einer Adresse.
Oder: Anrufe werden aufgezeichnet und sorgsam nach Hinweisen abgehört. Hintergrundgeräusche von Betrieben, Straßenlärm, vielleicht ein Unfall, Kirchenglocken, Uhren, Passanten, Sirenen von Polizei, Feuerwehr oder Rettungswagen, ein auf die Straße fallender Blumentopf. Auch das führt zu der Adresse.
Oder: Man versucht zurückzurufen. Die Nummer wird nicht angezeigt, aber vielleicht gibt es einen cleveren Weg. Einen Telefonmast oder eine Relaisstation hacken. Zugang zu den Daten der Telefongesellschaft bekommen. Es gibt eine Nummer. Sie steht in keiner Datenbank, sie wurde nie vergeben. Fall sie entschlüsselt wird, handelt es sich um ein Palindrom aus Primzahlen 3751573 oder eine große Primzahl wie 84443. Ähnliche Nummern wurden vergeben für einen Straßenzug am Rande der Stadt.
Oder: Man entsorgt sein Telefon bzw. lässt sich eine neue eigene Nummer geben. Dann fangen die Anrufe von vorne an. In diesem Fall könnte die gesuchte Nummer der anderen Seite auch die eigene abgelegte sein. Variante: Sie gehen in umgekehrter Reihenfolge ein, also beginnend mit dem letzten.
Das Haus an der Adresse steht in einer seltsamen Gegend. Hier bist Du nie zuvor gewesen. Ein Straßenzug ganz am Rande der Stadt, der deiner Aufmerksamkeit bislang vollständig entgangen ist. Eine Sackgasse noch dazu. Sie beschreibt eine Kurve, dreht sich in sich selbst. Die Bebauung hier wirkt künstlich oder wie eine Kulisse. Sind das Musterhäuser? Aber dies dort drüben muss mindestens 150 Jahre alt sein. Ein kleines Anwesen. Dafür ist gegenüber offenbar eine Baugrube ausgehoben. Am Ende der Straße ragt ein übergroßer Betonklotz empor. Ein Bunker? Die Hausnummern sind mit weißer Schrift auf die Straße vor den Häusern gemalt worden. Ah, noch zwei Nummern, noch eine. Du bist angekommen.
Du kennst dieses Haus. Du kennst es gut. Jede Ecke, jeden Winkel, die Türen, die Fenster, die Tapeten, die Lampen, die Zimmer. Dein Zimmer. Es ist das Haus deiner Kindheit. Hier bist du aufgewachsen. Du erinnerst dich an die Stimmen deiner Familie, daran, wie es aus der Küche duftete, an das Flackern des Fernsehers abends aus dem Wohnzimmer. Aber dieses Haus stand zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort. Hier ist es falsch, hier stimmt nichts.
Das Innere ist vertraut, du fühlst dich zurückversetzt, aber wie auf einem Tauchgang. Es gibt keine Geräusche außer deinem eigenen Atem, seltsame Verzerrungen laufen wie Wellen durch dein Blickfeld, deine Bewegungen sind langsam und schwerfällig. Alles um dich herum wirkt übermäßig, wie aufgeblasen, zu groß. Oder bist du zu klein? Jetzt: Elektronisches Säuseln wie bei der Wahl einer Telefonnummer aus einem der Räume. Du schaust um die Ecke und siehst – dich selbst am Telefon:
Du drehst dich weg und siehst dich beim zweiten Anruf.
Man könnte fortlaufen, raus aus diesem Haus, weg von der seltsamen Straße und versuchen alles zu vergessen. Zukünftig wird es schwer sein, zu telefonieren. Jedes Klingeln ruft Angstschweiß hervor. Sollte dennoch ein Gespräch zustande kommen, lauscht man auf Geräusche und Botschaften im Hintergrund. Was hat die Person am anderen Ende gerade gesagt? Egal, besser nicht hinhören.
Oder: Es ist Zeit für drastische Maßnahmen. Hauen, Stechen, Schießen und Sprengen. Es ist, als müsse man eine Blase durchstoßen, aber nach einem ersten kleinen Widerstand ist Interaktion möglich. Das Telefon zerstören? Es gibt eine gewaltige Rückkopplung und eine gnädige Ohnmacht. Man wacht auf einem unbebauten Feld auf, fortan taub und mit dem ewig nagenden Gefühl, etwas Wichtiges vergessen zu haben. Sein Ebenbild erschießen? Die Welt zerbricht klirrend in unzählige Scherben. Man steht vor dem Haus und stellt verblüfft fest, dass man einen Korb mit einem Säugling trägt. Ein Mann und eine Frau öffnen die Tür und nehmen das Kind in Empfang. Man hat die dunkle Ahnung, dass man die beiden kennen sollte, kann sich aber nicht erinnern. An nichts von früher. Als habe das eigene Leben erst vor kurzem und als Erwachsener begonnen. Das Haus in die Luft jagen? Man wird zurück versetzt in eine Zeit weit, weit vor dem Jetzt. Der Beginn einer ganz anderen Geschichte.
Oder: Kontakt herstellen. Man tritt aus der eigenen Blase heraus, erzeugt ein Tor hinter sich und begegnet sich selbst in einem Zwischenraum, quasi auf der Türschwelle. Du hast mir gesagt, hier sei die Lösung zu finden. Deshalb kam ich her, aber finde keinen Ausgang mehr. In einem der Räume liegt ein Kind. Es wächst und gleichzeitig werde ich schwächer. Du und ich, wir müssen gemeinsam handeln. Durch die Tür des anderen gehen, vielleicht. Das Kind mitnehmen oder fortbringen. Einen Kreis schließen. Oder nicht? Wie wirst du sein? Zielstrebig oder zaudernd, zweifelnd, zögerlich oder zupackend?
Nun sind die Möglichkeiten zahlreich. Variationen zu den Fragen „Wer bist du?“ und „Woher kommst Du?“. Aber die Antworten bleiben hier notwendigerweise - fragmentarisch.
Stephan Kuhlmann, 2022